05/24/20

PREDIGT 7. Sonntag Osterzeit LJ A

Apg 1,12-14 + Joh 17,1-11a

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder, liebe Jugendliche!

Jetzt ist Er weg, weg – und wir sind wieder allein, allein. Jetzt ist Er weg, weg – so ein leicht abgewandelter Titel der Fantastischen Vier. Jetzt ist Er weg: mit seiner Himmelfahrt hat sich Jesus Christus den Blicken der Jüngerinnen und Jünger entzogen. Jetzt ist Er weg: über vierzig Tage ist der auferstandene Gekreuzigte ihnen immer wieder erschienen, ist in die Verschlossenheit und Traurigkeit ihres Lebens gekommen und hat ihnen den Frieden gewünscht, ist auf sie zugegangen und hat sich begreifen lassen, damit sie nicht nur mit den Augen sehen, sondern mit gläubigen Herzen begreifen: Jesus lebt, er ist auferstanden – dies zu glauben, geht nicht von heute auf morgen, es braucht Zeit und es braucht Begegnungen, die ins Nachdenken und zum Glauben führen. Jetzt ist Er weg und wir sind wieder allein, allein, denken die Jünger. Den Beistand hat Er zwar versprochen, aber da ist er noch nicht, so denken die Jünger. Sie kehren vom Ölberg, dem Ort der Himmelfahrt, zurück nach Jerusalem schließen sich ein – vieles kommt hoch in dieser Zwischenzeit.

Auch ich lebe zwischen dem weg und noch nicht daZwischenzeit. Gewohntes bricht weg – Neues ist noch nicht da. Corona verändert – Zwischenzeit. Der „Normalzustand“ ist noch nicht erreicht – auch wenn wir den gerne schon wieder hätten. Ich muss noch auf ein Zuviel an Begegnung verzichten, auf Umarmungen, auf zu große Nähe. Dieses social distancing fällt schwer – aber immerhin ist vereinzelt Begegnung möglich und nicht „verordnete Vereinsamung“. Auch in der Schule und in den Betrieben: Zwischenzeit – die Zeit zwischen dem lockdown und einem normalen Alltag. Auch der Sonntag ist eine Zwischenzeit – der Tag „zwischen“ den Werktagen, der Tag mit Gottesdienst und Zeit für die Familie.

In Zwischenzeiten geschieht Unscheinbares: das, wofür sonst keine Zeit ist, kommt hoch, beschäftigt mich, geht mit durch den Kopf. Oft geschieht auch Entscheidendes: Ich fühle: vieles ist im Aufbruch und Umbruch begriffen. Ich bin ratlos, weil so vieles offen und in der Schwebe ist. In diesen Zwischenzeiten denke ich viel nach: Wie kann ich mein Leben sinnvoll gestalten – für mich und Menschen, die mir wichtig sind – was liegt in meiner Hand? Wie wird es weitergehen? Was kommt auf mich zu? Zwischenzeiten sind spannende Zeiten, aber keine leichten.

Eine derartige Zwischenzeit haben auch Maria, die Jüngerinnen und Jünger erlebt: Diese Zwischenzeit ist – wie es die Lesung heute sagte – geprägt von „nur einem Sabbatweg“ (Apg 1,12). Räumlich gesehen, ein kurzer Weg vom Ölberg nach Jerusalem, aber ein weiter Weg für die Menschen in der Nachfolge Jesu: Es ist der Weg durch die Zeit zwischen der Himmelfahrt Jesu Christi und der Zeit des Heiligen Geistes – die Zeit nach dem irdischen Gott-Menschen Jesus Christus und der Zeit vor der begeisterten und Geist durchwehten Kirche. Das Wegsein Jesu ist für die Jünger eine Zumutung, gerade in dieser Zwischenzeit: Er mutet ihnen viel zu: aushalten und warten bis der Heilige Geist kommt. Da kann man und frau ja nur noch mutloser werden … Heiliger Geist.

Richten wir den Blick auf Maria, die die Wirkmacht des Heiligen Geistes bei der Menschwerdung Gottes erfahren durfte, obwohl auch sie anfangs so ihre Zweifel hatte: „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ (Lk 1,34) Richten wir den Blick auf Maria, wie sie nach der Himmelfahrt Jesu mit dieser neuen Zumutung umgeht: Unauffällig ist sie dabei, die Mutter Jesu, mit den anderen Frauen im Kreis der Apostel. Sie stellt keine Fragen. Sie hat Gewissheit, trotz des Ungewissen dieser Zwischenzeit: Maria hat am eigenen Leib erfahren, wie Gottes Geist wirken kann. Sie war für die Jünger das Beispiel, dass göttliche Zusagen und Verkündigungen konkret lebbar sind, wenn man selbst sein JA dazu spricht. Begeisterung und das eigene Wollen sind notwendig, damit aus diesen Zumutungen Gottes Neues und Lebendiges entsteht. Diese Begeisterung, der Heilige Geist ist auch uns wie den resignierten Jüngern zugesagt: Anfangs fehlte die Zustimmung, das JA, der Jünger – vieles stand in Frage. In der Zwischenzeit ist viel passiert: ihre Einstellung hat sich geändert: „Sie alle verharrten einmütig im Gebet“ (Apg 1,14). Sie wollen sich trotz aller Ungewissheit den neuen Herausforderungen stellen. Wie Jesus vor seiner Heimkehr zum Vater betete (vgl. Joh 17,1-11a), beten auch sie. Die Jüngerinnen und Jünger warten mit Maria auf Gottes Geist, der alles belebt und lebendig macht. Sie beten um Gottes Geist für ihr Leben. Sie bitten für eine neue Lebendigkeit ihres Glaubens und ihrer Gemeinschaft mit Gott. Im Gebet und im Beten wird diese Gemeinschaft mit Gott und untereinander gestärkt – damals wie heute.   Amen.

Und drei ungewöhnliche Links/Videos:
Oh, the deep Love of Jesus: https://www.youtube.com/watch?v=KLTu1xv2-Us
Von Guten Mächten: https://www.youtube.com/watch?v=3C8v9icR6yA
J.S. Bachs AIR: https://www.youtube.com/watch?v=E100oGo8d34

 

05/21/20

PREDIGT Christi Himmelfahrt (A)

Apg 1,1-11 + Eph 1,17-23 + Mt 28,16-20

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder und Jugendliche!

Ich stehe mit beiden Beinen auf dem Boden – auf der Erde, die mich trägt, die mir Stand und Halt gibt und festen Tritt unter den Füßen.

Mein Kopf ist in der Luft – erhoben über der Erde hat er eine neue Perspektive und den Überblick, ist er dem Himmel ein Stück näher und offen für neue Eindrücke und Gedanken.

Als Mensch bin ich Erd-verbunden und Himmel-offen – ich stehe zwischen Himmel und Erde, zwischen Freiheit und Sicherheit, zwischen Offenheit und Geborgenheit – eben Erd-verbunden und Himmel-offen.

Jesus Christus ist Erd-verbunden und Himmel-offen – Jesus war und ist verbunden mit den Menschen, wurde ein Mensch wie wir, unser Freund und Bruder, ein Menschenkind; Christus war und ist als Gottessohn offen für Gott und jetzt nach seiner Himmelfahrt eins mit Gott – er ist daheim beim Vater. Jesus Christus war, ist und bleibt wahrer Gott und wahrer Mensch. Er verbindet Himmel und Erde, in seiner Menschwerdung und seinem irdischen Leben, in seinem Sterben am Kreuz zwischen Himmel und Erde, bei seiner Himmelfahrt und seinem Leben beim Vater und bei seinem Kommen am Ende der Zeiten. Jesus Christus war, ist und bleibt Mittler zwischen Gott und uns Menschen, zwischen Himmel und Erde.

Die Schrifttexte zum Hochfest Christi Himmelfahrt machen das in ihrer Verschiedenheit deutlich; sie haben Bedeutung für uns; sie betreffen mich:

Der Auferstandene erschien zwei Frauen, die am Ostermorgen zum Grab geeilt waren – andere Begegnungen mit dem Auferstandenen erzählt der Evangelist Matthäus nicht. Im Evangelium nach Matthäus müssen sich die Jünger auf den Weg machen, um den Auferstandenen zu sehen, weg von Jerusalem und zurück in die Heimat, dorthin, wo Jesus sie in seine Nachfolge berufen hat. Das war die Botschaft Jesu an die Frauen: „Fürchtet euch nicht! Geht und sagt meinen Brüdern, sie sollen nach Galiläa gehen und dort werden sie mich sehen“ (Mt 28,10). Jesus sehen und ihm begegnen zu wollen, erfordert, sich auf den Weg zu machen, dorthin, wo der Weg mit Jesus angefangen hat. Den ersten Schritt zu wagen, zaghaft und hoffnungsvoll – kraftvoll und guten Mutes weiterzugehen bis nach Galiläa, bis zum Ursprung. Dort soll der Treffpunkt mit dem Auferstandenen sein – oben auf einem Berg. Dort sind die Jünger dem Himmel ein Stück näher: Himmel-offen und doch ganz Erd-verbunden – ganz Mensch und nahe bei Gott. Dort geschieht die Begegnung – dort, wo sich Himmel und Erde berühren, wo Gott und Mensch eins sind in Jesus Christus. Aber diese Gemeinschaft ereignet sich nicht nur auf dem Berg, sondern überall: „Siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ (Mt 28,20), sagt der Auferstandene den Jüngern. Mit dieser Zusage schickt er die Jünger zurück in den Alltag, damit auch dort die Menschen diese Gemeinschaft mit Gott und untereinander erfahren – und in die Familie Gottes und die Gemeinschaft der Glaubenden eingegliedert werden durch die Taufe.

Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor?“ (Apg 1,11). Die Antwort auf diese Frage gibt der Engel selbst: Es ist kein Tadel, kein Zurückgeworfen-Sein auf die Erde und keine Aufforderung den Kopf in den Sand zu stecken – die Apostel und wir sollen zum Himmel schauen, aber nicht wie Hans-guck-in-die-Luft und nicht wie neugierige Gaffer, sondern im „Geist der Weisheit und Offenbarung“ (Eph 1,17). „Er erleuchte die Augen eures Herzens, damit ihr versteht, zu welcher Hoffnung ihr durch ihn berufen seid, welchen Reichtum die Herrlichkeit seines Erbes den Heiligen schenkt und wie überragend groß seine Macht sich an uns, den Gläubigen, erweist durch das Wirken seiner Kraft und Stärke“ (Eph 1,18-19). Dafür gilt es offen zu sein – für diesen Himmel, der uns entgegenkommt und der die Beziehung zu und das Leben in Gott ermöglicht – und dabei mit beiden Beinen fest auf dem Boden zu stehen. Die Augen meines Herzens sehen tiefer, höher und weiter als das Sichtbare, das ich mit meinen Augen im Gesicht sehen und erahnen kann – sie sehen über das Schwere dieser Welt und dieser Corona-Zeit hinaus, ohne all das auszublenden – sie sehen das Kommende und den Kommenden, der bei uns bleibt an allen Tagen des Lebens – sie schauen auf Ihn der auf der Erde gelebt und gelitten hat, der erhöht ist und zur Rechten Gottes sitzt – sie hoffen auf Gottes Geist, der lebendig macht und neues Leben schenkt.   Amen.

05/17/20

PREDIGT 6. Sonntag Osterzeit LJ A

1 Petr 3,15-18 + Joh 14,15-21

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder, liebe Jugendliche!

Seid stets bereit jedem Rede und Antwort zu stehen …

Und so frage ich Sie nach Ihrer Antwort: Wie sind Sie heute zum Gottesdienst in die Kirche oder vor den Fernseher gekommen?

Antwort A: gut ausgeschlafen

Antwort B: zu Fuß

Antwort C: durch die weit geöffnete (Kirchen-)Tür

Antwort D: in der Hoffnung, dass es nach dem Gottesdienst etwas Gutes zu essen gibt

Welche Antwort ist denn Ihre persönliche Antwort?

Für mich stimmen alle vier: Ich bin gut ausgeschlafen, zu Fuß (mit dem nötigen Sicherheitsabstand) durch die Kirchentür, in der Hoffnung, dass es nach dem Gottesdienst etwas Gutes zu essen gibt – ich werde etwas ganz einfaches Kochen, meine Leibspeise…

Auch wenn bei mir alle Antworten auf den heutigen Sonntag zutreffen, so stimmt eine Antwort immer – bei jedem Gottesdienst, an jedem Tag. Also: Wie komme ich eigentlich zum Gottesdienst?

Antwort A: gut ausgeschlafen

Antwort B: zu Fuß

Antwort C: durch die weit geöffnete (Kirchen-)Tür

Antwort D: in der Hoffnung, dass es nach dem Gottesdienst etwas Gutes zu essen gibt

Die Antwort, die immer stimmt, ist die Antwort B: zu Fuß.

Ich mache mich auf, setze mich in Bewegung: Schritt für Schritt.

Und selbst wenn einige von Ihnen das Auto benutzt haben, waren doch die ersten und letzten Meter zu Fuß zurückzulegen: Schritt für Schritt. Sie alle sind heute unterwegs, haben dem Glauben Beine gemacht und sind zum Gottesdienst gelaufen oder vor den Fernseher gegangen.

Durch Ihr Gehen und Unterwegssein machen Sie eine kleine Demonstration. Demonstrationen gibt es ja viele in diesen Tagen – für und gegen alles Mögliche…

Ja, auch Sie demonstrieren – Sie demonstrieren und zeigen, dass Sie zum Gottesdienst gehen; Sie zeigen, dass Ihnen der Sonntag wichtig ist, zeigen Ihren Glauben in aller Öffentlichkeit bzw. in ihrer Familie. Sie geben eine Antwort, Ihre Antwort, die mehr sagt als viele Worte: Sie machen der Hoffnung, die sie erfüllt, und Ihrem Glauben Beine.

Doch wer treibt mich eigentlich an?

Wer oder was ist die innere Kraft, die Hoffnung, die mich erfüllt?

Jesus ist doch längst tot, woher da noch Kraft aus dem Glauben schöpfen?

Ich persönlich finde eine Antwort im heutigen Evangelium. Jesus sagt seinen Jüngerinnen und Jüngern und auch mir seinen Beistand zu – einen Beistand, der bleibt, der da ist und Gemeinschaft mit Jesus und untereinander schenkt. Das ist Jesus wichtig, dass die Jüngerinnen und Jünger (und auch wir) uns nicht alleingelassen fühlen. Jesus bereitet so seinen Abschied, seine Himmelfahrt, seine Heimkehr zum Vater, vor.

Jesus spricht:

Ich werde den Vater bitten,

und er wird euch einen anderen Beistand geben,

      der für immer bei euch bleiben soll,

den Geist der Wahrheit,

      den die Welt nicht empfangen kann,

      weil sie ihn nicht sieht und nicht kennt.

Ihr aber kennt ihn,

      weil er bei euch bleibt und in euch sein wird. (Joh 14,16-17)

Jesus sagt uns seinen Beistand zu, den Heiligen Geist.

In diesem Geist der Wahrheit werden die Jüngerinnen und Jünger den Weg erkennen, der zu gehen ist – unter der Führung des Heiligen Geistes. Wir können ihn zwar nicht sehen, aber sein Wirken in uns und in dieser unserer Welt spüren. In den Tagen um Christi Himmelfahrt und in den Tagen vor Pfingsten betet die Kirche um Gottes Geist: Herr sende aus deinen Geist, und das Antlitz der Erde wird neu. Herzliche Einladung zur Pfingstnovene – Gebetheftchen liegen in unseren Kirchen aus. Herr, sende uns deinen Geist, der unserem Glauben Beine macht, der uns antreibt, die Welt zum Guten zu verändern – Schritt für Schritt.   Amen.

Noch ein Liedlink zum Nachdenken: https://www.youtube.com/watch?v=c3f7ebW_8fk

05/10/20

PREDIGT 5. Sonntag Osterzeit LJ A

1 Petr 2,4-9 + Joh 14,1-12

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder, liebe Jugendliche!
Abschied – das fällt nicht leicht, besonders wenn es um liebe Mitmen-schen und um wertvolle Beziehungen geht – ebenso wie die Trennung von liebgewordenen Sachen, der drohende Verlust der Arbeitsstelle.
Andere „Abschiede“ fallen leicht – durch die Lockerung der Ausgangs-beschränkung atmen viele auf; manche nehmen das Leben auf die leichte Schulter – wie wenn es kein Corona mehr gibt. Vielen gehen die Locke-rungen und vor allem der Umgang damit zu schnell – mir auch.
Wie wird es weitergehen? Eine Frage, die nicht nur mich umtreibt.
Wie wird es weitergehen? Wir müssen mit Corona leben lernen – darauf kommt es an, Schritt für Schritt mit der gebotenen Sicherheit und Wert-schätzung des Lebens – des eigenen und das meiner Mitmenschen; deshalb auch jetzt Abstand und Maske. Wir müssen mit Corona leben lernen – Le-ben und Lebendigkeit als Ziel, trotz mancher Einschränkungen. Wir müssen mit Corona leben lernen – Krankheit und Tod gehören zum Leben dazu.
Wie wird es weitergehen? Wohin gehst du? Wo bist du dann?
Eine Frage, die sich auch angesichts des Todes stellt – eine Frage, die wir gerne verschweigen – eine Frage, die Kinder aber aussprechen.
„Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie können wir dann den Weg kennen?“ (Joh 14,5) Eine Frage, die Thomas stellt, der im Johannesevangeli-um als hinterfragende Person auftritt. Wohin gehst du? Eine Frage aus der auch die Angst spricht, die Angst allein und verlassen zu sein – eine Erfah-rung, die gerade Seniorinnen und Senioren daheim oder in den Altenheimen machen mussten. Eine Frage, die Thomas Jesus stellt – nach dem letzten Abendmahl und vor dem Beginn des Leidens und des Kreuzweges.
Zuvor hat Jesus den Jüngerinnen und Jüngern seinen Abschied angekün-digt – und das Wichtigste quasi als Testament hinterlassen: „Ich bin nur noch kurze Zeit bei euch. Ihr werdet mich suchen, und was ich den Juden gesagt habe, sage ich jetzt auch euch: Wohin ich gehe, dorthin könnt ihr nicht gelangen. Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben. Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.“ (Joh 13,33-35). Damit hat Jesus alles gesagt, doch die Fragen bleiben:
Zuerst Petrus: „Herr, wohin gehst du?“ (Joh 13,36)
In seiner Antwort deutet Jesus seinen Tod an und auch den Verrat des Pet-rus. In dieser Zeit des Abschieds ist Glaube gefordert – Glaube und Ver-trauen: „Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott und glaubt an mich! Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen“ (Joh 14,1-2)
Jesus spricht vor seinem Abschied vom „Heimgehen zum Vater“ vom „Haus des Vaters“ – ein Ort, der Geborgenheit, Sicherheit, Heimat ver-spricht – ein Ort, der hinter der Auferstehung liegt – den Weg dorthin kön-
nen sich die Jünger nicht vorstellen – wie auch. Aber sie wollen an diesen Ort gelangen, dort Heimat und Geborgenheit finden und bei Jesus sein. Das „Haus des Vaters“ wirft daher bei den Jüngern unausgesprochene Fragen auf: Zurück zum Vater, zu Josef nach Nazareth – aber warum gehen wir dann nach Jerusalem? Wohin gehst du? Thomas spricht es aus: „Wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie können wir dann den Weg kennen?“ (Joh 14,5)
„Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich“ (Joh 14,6). Jesus ist nicht nur Wegweiser – ER selbst ist der Weg. Lassen wir uns nicht durch Verschwörungstheorien von diesem Weg und von dieser Wahrheit abbringen: „Euer Herz lasse sich nicht verwirren“ (Joh 14,1). ER, Jesus Christus ist der wahre Weg zum Leben – hier und jetzt und auch nach diesem irdischen Leben.
In den vergangenen Wochen sind viele von uns den Kreuzweg, als Lebens- und Glaubensweg gegangen – oder mussten es zwangsweise, weil ein mehr an Belastung da war; weil eine öffentliche Hl. Messe nicht möglich war und auch vieles andere nicht: dafür Gottesdienst daheim im Familienkreis oder übers Fernsehen als sonntägliche Christusbeziehung – und gelebte Nächs-tenliebe; das was Jesus den Jüngerinnen und Jüngern vor seinem Abschied mitgegeben hat, haben viele von Ihnen im Alltag umgesetzt – Sie haben ge-lernt mit Corona zu leben – Sie haben gelernt mit Corona zu leben – Mitten im Leben, dort wo wir auch Jesus Christus begegnen, Ihn, der diese Kreuz-wege mit uns gegangen ist, der uns heute im Glauben stärkt für unseren Weg ins Leben, ja der selbst Weg, Wahrheit und Leben ist. AMEN.

05/3/20

PREDIGT 4. Sonntag Osterzeit LJ A

Joh 10,1-10

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder und Jugendliche!

Türen: Einladende, offene, verschlossene, vor der Nase zugeschlagene

Türen, vor denen ich Schlange stehe, vor denen ich mit Abstand warte

Türen, markieren eine Grenze, den Zugang zu einem neuen Raum

Türen, durch die ich oft achtlos hindurch gehe

Durch welche verschiedenen Türen bin ich diese Woche gegangen?

Welche blieben verschlossen und ich draußen vor der Tür?

Wer oder was hat mich hinter diesen Türen erwartet?

Waren diese Türen einladend für mich?

War etwas Besonderes an ihnen?

Ich bin die Tür – wenn das eine(r) zu mir sagt, dann hat das Bedeutung: Dieser Mensch ist offen für mich und meine Sorgen und Nöte; durch diesen Menschen eröffnen sich für mich ganz neue Perspektiven und Räume; durch diesen Menschen führt mein Weg weiter.

Ich bin diese offene Tür, sagt Jesus Christus. Er lädt mich ein, bei Ihm einzutreten, in den Raum, in die Weite und das Leben, das er mir eröffnet. Er lädt mich ein, in Jesus Christus einzutreten – nicht oberflächlich, halbherzig oder scheinheilig. Er lädt mich ein, ganz bewusst und ohne Hintergedanken einzutreten. Ich bin die Tür, die offene Tür für Dich.

An dieser Tür – beim Durchgang durch Jesus Christus – zeigt sich, wer ein „Dieb“ oder ein „Räuber“ ist, wer sich heimlich und mit bösen Absichten im Schafstall einschleicht: falsche Hirten, falsche Führer und Verführer, die nur auf ihren Vorteil bedacht sind, die auf fette Beute aus sind. An der Tür zeigt sich, wer ein „Wolf im Schafspelz“ ist, wer sein wahres Ich verschleiert und bewusst falsche Tatsachen vorspielt. An der Tür zeigt sich, wer wirklich ein „guter Hirte“ ist – ein Mensch, der es ernst meint, der verantwortungsbewusst für die „anvertrauten Schäfchen“ da ist.

 Diese Beziehung in Christus ist spürbar – sie ist geprägt von der Vertrautheit. Der Hirte kennt seine Schafe und ruft sie einzeln beim Namen – und die Schafe kennen ihren Hirten. Sie erkennen ihn an seiner Stimme und hören ihn heraus aus der Vielzahl anderer Stimmen. Es geht dabei nicht um Machtausübung, nicht um blinden Gehorsam oder stupiden Herdentrieb, sondern es geht Jesus Christus um eine spürbare Fürsorge, um Seelsorge, um Dasein für andere durch Ihn, mit Ihm und in Ihm.

Das Kirchenbild vom Hirten und den Schafen ist in die Krise geraten. Wer will schon ein „dummes Schaf“ sein – wer will denn immer „von oben“ geleitet werden oder stets „Leithammeln“ hinterhertrotten? Das ist in der Kirche nicht viel anders als bei den derzeitigen staatlich angeordneten Maßnahmen während der Corona-Pandemie und bezüglich der Lockerung der Ausgangsbeschränkungen – Gegenstimmen werden laut.

Wichtig ist sich bei all dem Stimmengewirr nicht verunsichern zu lassen, sondern auf seine Stimme zu hören – auf die Stimme Jesu Christi: Er ist für uns Christen ist unser „Oberhirte“ und guter Hirt. Und er sagt das auch im Anschluss an den heutigen Evangelienabschnitt: „Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe“ (Joh 10,11).

Das bedeutet für mich, dass ich ein „Schaf“ bin, das die Hirtensorge braucht und Geborgenheit, Fürsorge in Krankheit und in Lebenskrisen – und jetzt auch in der Zeit der Corona-Pandemie. Das hat nichts mit menschlicher Schwäche oder Aufgabe von Freiheit zu tun, sondern mit einer realen Sicht aufs Leben. Da ist und tut es gut, dass einer für mich da ist, wenn ich ihn brauche – einer, der mich und meinen Namen, meine Sorgen und Nöte kennt – einer, der mir nichts vorspielt und das Blaue vom Himmel herunterlügt – sondern einer, der es ehrlich meint mit mir – einer, dessen Stimme ich gerne höre, weil sie mir vertraut ist und mir gut tut.

Diese Stimme Jesu hat es in sich – sie will Vertrauen schenken, Vertrauen ins Leben – ins „Leben in Fülle“ (Joh 10,10) – ins Leben, das sich nicht nur auf das irdische Leben erstreckt, sondern hinüberreicht ins „Leben in Fülle“ in Gottes Ewigkeit – eine hoffnungsvolle Perspektive, die vielen heutzutage leider fremd geworden oder verlorengegangen ist.

Aber ich bin nicht nur hilfsbedürftiges Schaf, sondern als Christ bin ich auch berufen, Mitarbeiterin und Mitarbeiter des guten Hirten zu sein: durch Taufe und Firmung ich habe Anteil am Hirtendienst Jesu. Jede und Jeder von uns – und nicht nur die Priester und pastoralen Mitarbeiter – soll und darf an seinem Ort „pastoral“, das heißt wie ein Hirte sorgen – für die Menschen in den Pfarreien, am Arbeitsplatz, in der Familie.

Der vierte Sonntag der Osterzeit ist in der Kirche auch mit dem Gebet um geistliche und pastorale Berufungen verbunden – „werft die Netze aus“ so das Motto in diesem Jahr. Beten wir für Berufungen bei uns und weltweit! Was Papst Franziskus zu den Priestern bei der Gründonnerstagspredigt 2013 gesagt hat, gilt allen, die der Stimme Jesu gefolgt sind oder noch überlegen, ob sie ihr folgen sollen – egal, ob sie sich haupt- oder ehrenamtlich, und damit systemrelevant, in Pfarreien, in der religiösen Bildung und Erziehung oder in der Caritas aus dem christlichem Glauben heraus engagieren: „Seid Hirten mit dem Geruch der Schafe, dass man ihn riecht, Hirten inmitten ihrer Herde und Menschenfischer“.

Der „Stallgeruch“ ist der Indikator für die Echtheit meines Hirtendienstes. Nur wenn ich durch Jesus Christus hindurchgehe und nur wenn ich in Ihm, durch Ihn und mit Ihm den Zugang zu den Menschen suche, bin ich ein guter Hirte. Jesus Christus ist die Tür zum erfüllten Leben (vgl. Joh 10,7.9.10); er schenkt uns Leben in Fülle schon im Hier und Jetzt. Gehen wir durch diese Tür als Schafe und Hirten, im aufeinander Hören und im einander Führen. Lassen wir uns stärken für unseren Dienst an den Menschen, damit wir gut miteinander leben durch, mit und in Jesus Christus.   Amen.

04/26/20

PREDIGT 3. Sonntag Osterzeit LJ A

Joh 21,1-14

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder und Jugendliche!

Mitten im Alltag: Trotz Covid19 geht das Leben weiter – es muss weitergehen, sonst ist alles tot. Über die sozialen Medien, über Telefon- und Handynetze, über PCs und Tablets, über Apps, skype und Videokonferenzen erhalten wir Kontakte zu unseren Mittmenschen am Leben.

Mitten im Alltag ist Leben und Zusammenhalt zwar möglich, aber auch beschränkt: Trotz aller gebotenen Vorsicht, Abstandregeln und Hygienemaßnahmen sehnen sich viele nach einer Lockerung der Ausgangbeschränkungen und der Kontaktverbote; schrittweise soll der Übergang in den Alltag geschehen, der doch so anders ist bzw. sein wird als vorher:

  • Arbeit ist in der Pflege und den Krankenhäusern, in den Praxen und Läden, durch Kurzarbeit im Betrieb oder durch Homeoffice ganz anders.
  • Schulunterricht findet vorerst nur für die Abschlussklassen und mit kleineren Klassenstärken statt; andere müssen weiterhin daheim lernen – vollkommen anders und für viele Familien eine Überforderung.
  • Online-Vorlesungen an den Universitäten gab es zwar schon – aber es ist irgendwie anders dieses Studium so ganz ohne persönlichen Kontakt zu Dozenten und Mitstudierenden.
  • Seniorinnen und Senioren bleiben daheim; Familienangehörige und Nachbarn gehen jetzt für sie einkaufen – irgendwie anders als sonst.
  • Bald gibt es wieder öffentliche Gottesdienste in unseren Kirchen. Die konkreten Hygieneanforderungen und Regelungen stehen noch aus, wie auch der erstmögliche Termin, der ist noch nicht offiziell bestätigt; eines steht aber fest: es wird irgendwie anders werden als vorher.

Mitten im Alltag: Trotz des Todes Jesu geht das Leben für die Jünger weiter – es muss weitergehen; sonst bleiben sie beim Tod stehen und im Tod stecken, vernachlässigen das Leben und stecken sich und andere mit diesem lebensfeindlichen Virus an. Die Jünger halten die sozialen Kontakte aufrecht. Sie sehnen sich nach Gemeinschaft und nach der Normalität des Alltags – nach dem normalen Leben in all seinen Bezügen. Sie haben sich daher zum Fischen verabredet – es ist kein neues Hobby gegen die Langeweile. Die Jünger machen das, was sie beruflich gemacht haben, ehe sie ihre Netze und Familien verlassen und mit Jesus gegangen sind: sie gehen Fischen und werfen die Netze aus. Im Evangelium sind sieben Jünger genannt – „7“ ist die Zahl der Vollkommenheit; die sieben Jünger stehen damit stellvertretend für die ganze – für die vernetzte – Schar derer, die Jesus gefolgt sind, und für all die, die an Jesus glauben.

Die Jünger gehen fischen und werfen die Netze aus – wie früher – und doch ist es irgendwie anders: in dieser Nacht fangen sie nichts; kein einziger Fisch im Netz – die Netze bleiben leer, auch wenn sie diese wieder und wieder auswerfen und einholen. Es ist und bleibt eine erfolglos durchfischte Nacht. Die Jünger und diese Leere in den Netzen und in ihnen selbst sind von der Nacht umgeben und von der gefühlten Nacht in ihrem Leben – sie können den Tod Jesu nicht einfach abschütteln.

Mitten im Alltag dieser gefühlten Nacht und der erlebten Erfolglosigkeit bricht etwas Neues an – ein neuer Tag, doch irgendwie ganz anders: „Als es schon Morgen wurde“ (Joh 21,4) ereignet sich ein Gespräch mit einem Fremden, der am Ufer des Sees steht. Die Jünger – wahrscheinlich sind sie nach dieser Nacht müde, haben Hunger und wollen vielleicht nur noch schlafen – lassen sich auf dieses Gespräch mit dem Fremden ein. Er sagt ihnen, wo sie jetzt am anbrechenden Tag das Netz auswerfen sollen.

Warum die erfahrenen Fischer das Netz nochmals auswerfen?

Ich weiß es nicht: Sie haben ja schließlich die ganze Nacht nicht einen einzigen Fisch gefangen – und jetzt bei Tagesanbruch ist eine denkbar ungünstige Zeit zum Fischen ist, da ihre Netze sichtbar sind.

Ich weiß nur, dass die Jünger das Netz ausgeworfen haben – trotzdem –und dass es beim Einholen voll war; 153 Fische waren im Netz.

Mir scheint dieses trotzdem wichtig – denn sonst ist alles aus. Es trotzdem wagen, wenn auch anders als gewohnt – wenn auch die Lust dazu fehlt. Trotzdem – wenn man auch nicht immer etwas fängt oder Erfolg hat.

In diesen Tagen kann mir dieses trotzdem-Netz zum wichtigen Symbol werden: zum Symbol aus der damaligen Alltagswelt der Jünger Jesu und zum Symbol für meine Lebenswelt, für die Welt, in der ich heute lebe.

Es kommt in diesen Tagen auf das trotzdem, auf die Vernetzung untereinander an, darauf, dass niemand hilflos und allein ist oder „durchs Netz fällt“. Pflegen wir unsere Vernetzung durch die Netzwerke, die uns zur Verfügung stehen. Jesus Christus ruft uns als Jüngerinnen und Jünger im Heue auf, die Netze auszuwerfen: „Es ist der Herr“ (Joh 21,7), der in dieser Zeit bei uns ist! Als Christen sind wir untereinander und mit Jesus Christus vernetzt: So erreicht die Frohe Botschaft der Hoffnung, des Lebens und des Auferstandenen sehr viele – dazu muss nicht ich als Priester mit allen vernetzt sein, sondern wir alle untereinander, denn wir alle sind „Netzwerker“, die mit je unterschiedlichen Begabungen und Charismen an ganz verschiedenen Orten die Netze auswerfen und so für andere da sind.

Dieses soziale Netz, die Solidarität und die Verbundenheit im christlichen Glauben machen nicht an den Pfarreigrenzen halt: Wir sind weltweit von Covid19 betroffen und nur eine weltweite Vernetzung und gemeinsame Strategien werden zum Erfolg führen – sonst fischen wir im Trüben!

„Rete“, das lateinische Wort für „Netz“ bedeutet aber noch mehr: Unter dem sozialethischen Prinzip der Retinität versteht man die Vernetzung aller Wirklichkeitsbereich sowie der ökonomischen, ökologischen und sozialen Handlungsfelder. Es gilt also auch die Klimakrise und das zerbrechliche und zum Teil schon zerbrochene ökologische Gleichgewicht in alle Überlegungen und das Handeln jedes Einzelnen miteinzubeziehen. Es braucht weltweit vernetzte Lösungsansätze, damit Leben und gute Lebensbeziehungen auf der ganzen Erde und für alle möglich sind und bleiben.   Amen.

04/19/20

PREDIGT 2. Sonntag Osterzeit LJ A

Joh 20,19-31

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder, liebe Jugendliche!

Begegnungen von Angesicht zu Angesicht, Oma und Opa besuchen, sich in den Arm nehmen als Zeichen inniger Verbundenheit und Liebe, als Zeichen des Mitgefühls und des Trostes – diese Dinge vermissen Menschen in diesen Tagen des Kontaktverbots und der verordneten Ausgangssperre schmerzlich. Berührungen und Berührtsein ist Ausdruck von Nähe und Intimität – etwas ganz Persönliches, Zwischenmenschliches. Ab morgen ist zwar eine Person außerhalb des eigenen Hausstandes für Begegnungen und sportliche Aktivitäten erlaubt, aber es gilt Abstand zu halten, ein Leben auf Distanz zu führen und auf viele Begegnungen zu verzichten.

Kontakt nicht möglich – eine Erfahrung auch der Jüngerinnen und Jünger. Sie hatten sich eingeschlossen und sich aus Angst ein Kontaktverbot auferlegt (vgl. Joh 20,19). Kontakt nicht möglich – mit dem Tod Jesu ist alles aus, der Kontakt für immer abgebrochen und unmöglich – so glaubten sie. Doch Jesus Christus, der auferstandene Gekreuzigte, sucht den Kontakt zu ihnen, er überwindet die Kontaktsperre und wünscht den Jüngern „Frieden – Shalom“ – und damit Wohlergehen, Glück, Ruhe und Sicherheit, Segen und erfülltes Leben – all das meint Shalom.

Die Jünger sollen keine Angst haben, sondern dem Leben und dem Lebendigen trauen; sie sollen an die Auferstehung Jesu zum Leben glauben.

Wer kann schon an die Auferstehung Jesu von den Toten glauben?

Einige Jünger schon – Thomas nicht; er war nicht dabei, als Jesus den Jüngern begegnete. Thomas hat seine Zweifel: Wie soll denn das möglich sein? Jesus wurde gekreuzigt und ist am Kreuz gestorben; sein toter Leichnam wurde in ein Grab gelegt. Tot ist tot – das Leben ist aus, das weiß doch jedes Kind! Die Jünger können viel erzählen! Thomas will Beweise dafür, dass Jesus, der Gekreuzigte, lebt: „Wenn ich nicht das Mal der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in das Mal der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht“ (Joh 20,25), sagt Thomas provokant. Thomas legt damit den Finger in die Wunde und berührt den wunden Punkt: Die Jünger können nicht beweisen, dass Jesus lebt – die Jünger können es nicht.

Das Gespräch zwischen Thomas und den Jüngern ist damit beendet; die Frage ist für Thomas geklärt und abgeschlossen: Wer kann schon an die Auferstehung Jesu von den Toten glauben? Ich nicht!

Abgeschlossen, eingeschlossen, verschlossen: Acht Tage später – so erzählt das heutige Evangelium – kommt Jesus erneut in die Verschlossenheit der Jünger und auch des Thomas, Jesus kommt hinein in dieses „das kann ich nicht glauben“ und berührt den wunden Punkt bei Thomas. Der auferstandene Gekreuzigte zeigt ihm seine Wundmale als Beweis – die Wunden sind nicht weg, sondern sie sind da als Zeichen für das Leben, für Sterben und Auferstehen. Jesus fordert Thomas sogar auf, seinen Finger in die Wundmale zu legen. Ob Thomas den Mut zur dieser intimen Berührung hatte, wissen wir nicht – das Evangelium schweigt darüber.

Der „ungläubige Thomas“ ist innerlich berührt und er wandelt sich: Thomas kann jetzt glauben, dass Jesus wirklich lebt, und spricht das offen in einem Glaubensbekenntnis aus: „Mein Herr und mein Gott“ (Joh 20,28).

Um diese Offenheit geht es an Ostern – um diese Offenheit im Glauben an Jesus Christus, den auferstandenen Gekreuzigten – um dieses innere Berührtsein und Angerührt sein von Ihm, ohne dass wir ihr von Angesicht zu Angesicht sehen oder körperlich berühren könnten. Dieser christliche Glaube soll an und durch Ostern wachsen und erwachsen werden – in den Jüngern und in mir. Zweimal war im heutigen Evangelium von „verschlossenen Türen“ (Joh 20,19.26) die Rede – im übertragenen Sinn auch von verschlossenen Herzen. Der Auferstandene kommt hinein in diese, unsere Verschlossenheit: Wie bei den Jüngern geht Er den ersten Schritt, geht ein auf meine Fragen, auf die Zweifel und Ängste, auf meine Ablehnung und auf meine Wunden. Er zeigt mir seine Wunden – Er zeigt mir, dass er trotzdem lebt – Er steht mir zu Seite. Wie den Jüngern macht Er mir Mut, die Finger in die wunden Punkte meines Glaubens zu legen – Er hilft mir mit den Verwundungen meines Lebens zu leben aus der Kraft des Glaubens. Wie den Jüngerinnen und Jüngern wünscht Er mir den Frieden: inneren Frieden und Zufriedenheit – und äußeren Frieden in meinen gelebten Beziehungen mit meinen Mitmenschen und die Kraft zu vergeben. Er schenkt auch mir den Heiligen Geist – neue Lebendigkeit, Lebensatmen und Glaubensbegeisterung – und durch ihn neue Perspektiven im Leben und im Glauben.

Der „ungläubige Thomas“ ist ein Teil von mir – und der „gläubige Thomas“ hoffentlich auch. Wenn wir als Christinnen und Christen Glaubensängste und Zweifel haben, sollen wir einander im Glauben stützen und unterstützen, uns nicht verschließen, sondern uns einander öffnen und Nähe schenken: Wie Menschen in diesen Tagen Kontakte, Nähe und Verbundenheit suchen und leben – trotz des gebotenen Abstandes – berührt mich zutiefst und geht mir zu Herzen. Auf dem Gehsteig ein mit Kreide gemalter Regenbogen und ein geschriebener Gruß darunter: „Bleibt gesund!“ – das ist „Shalom“ ins Heute übersetzt; zudem erinnert der Regenbogen an den Bund Gottes mit den Menschen (vgl. Gen 9,13-17). Möglichkeiten der Verbundenheit sind handgeschriebene Briefe – jetzt hat man Zeit dafür – und auch Telefonate, in denen man fragt „wie geht’s Dir?“, in denen man nicht oberflächlich antwortet, sondern sich einander öffnet und das Leben, die Ängste, Freuden und Hoffnungen miteinander teilt, alles, was einen bewegt. Vieles Positive hat diese Krisenzeit schon hervorgebracht: Ein ermutigender und aufbauender, respektvoller und wohlwollender Umgang miteinander und auch mit der ganzen Schöpfung – Aufatmen können, neue Hoffnung, neue Lebenskraft und neues Leben spüren, das ist Ostern 2020. Das können wir glauben.   Amen.

04/13/20

Predigt Ostermontag

1 Kor 15,1-8.11 + Lk 24,13-35

Liebe Schwestern und Brüder an den Bildschirmen im SSB Hofer Land und darüber hinaus!

Wir stehen am Anfang: am Anfang eines neuen Tages und am Anfang der Osterzeit – Ostern ist noch nicht vorbei! Ostern ist auch heute!

Wenn wir uns so in die Emmauserzählung hineinbegeben – sind erzählt ja den Weg der beiden Jünger während eines Tages – dann stehen wir heute Morgen am Anfang des Weges.

Wir sind aufgestanden, haben den Tag beschritten und uns auf den Weg gemacht – wollen der Traurigkeit dieser Tage entfliehen

Die Nachrichten dieser Tage lähmen uns – Corona auf allen Kanälen im Fernsehen, Corona in allen Gesprächen – Corona beherrscht unser Leben – Corona hat die Welt fest im Griff.

Viele von uns teilen diese Erfahrung mit den beiden Jüngern: Nichts wie weg! Sie suchen das Weite und finden die Weite. Viele machen Spaziergänge, gehen raus – lassen den Alltag und Corona hinter sich; und doch ist dieses Thema auch auf dem Weg…

Wie da eine neue Perspektive bekommen?

In einer E-Mail, die ich gestern von einem guten Freund bekam, stand der bedenkenswerte Satz: „Krisen werden vorwärts gelebt – und rückwärts verstanden.“

Genau das ist es, was die beiden Jünger erleben: Sie gehen in der Krisensituation vorwärts – der Tod Jesu hat alles in ihrem Leben durchkreuzt – der Tod Jesu am Kreuz prägt ihre Gespräche.

Die Jünger gehen Schritt für Schritt – sie nehmen zwar den Fremden wahr, der sich zu ihren gesellt. Sie erkennen Jesus den Auferstandenen nicht, der mit ihnen geht. Sieht er so anders aus – oder sehen sie ihn nicht, weil es ganz und gar unmöglich ist, dass er lebt?

„Bist du so fremd in Jerusalem, dass du als einziger nicht weißt, was in diesen Tagen dort geschehen ist?“ – Er fragte sie „Was denn?“

Nicht der Tod am Kreuz ist in den Augen Jesu das Entscheidende, sondern die Auferstehung von den Toten.

Jesus versucht durch lange Weg-Gespräche über die Heilige Schrift, die Jünger und ihre Herzen für diese neue Perspektive des Lebens zu öffnen – vergebens.

„Krisen werden vorwärts gelebt – und rückwärts verstanden.“

Und doch sind die Jünger soweit, den Fremden zu bitten am Abend bei ihnen zu bleiben – die Gespräche hatten ihnen gut getan. Ganz unbemerkt, Schritt für Schritt haben sie sich geöffnet. Sie öffnen sich, ihr Herz und das Haus, zu dem sie unterwegs waren, für den Fremden.

Beim Brechen des Brotes gehen ihnen die Augen auf, da sind sie ganz offen und sie erkennen sie Jesus – dann sahen sie ihn nicht mehr.

„Brannte uns nicht das Herz, als er unterwegs mit uns redete?“

„Krisen werden vorwärts gelebt – und rückwärts verstanden.“

Die Jünger brechen erneut auf – mitten in der Nacht – und kehren zurück an den Ort von Kreuz, Tod und Grab, zurück nach Jerusalem. Aber sie kehren zurück mit einer neuen Perspektive: Jesus lebt! Und auch wir sollen leben trotz seines Todes!

„Krisen werden vorwärts gelebt – und rückwärts verstanden.“

Wir stehen mitten drin in der Corona-Krise. Wir haben Ausgangsbeschränkungen und Einschnitte, die schmerzen, die Existenzen bedrohen, die Familien und Arbeitsplätze belasten. Sie machen unsere Herzen schwer.

Wichtig sind und bleiben Gespräche miteinander über das, was uns, was mich ganz persönlich bewegt und traurig macht, aber auch über das, was mich mit Freude erfüllt und in diesen Tagen zum Lachen bringt. Im Gespräch öffnen wir die Herzen für einander.

Und oft ergibt sich erst nach dem Gespräch oder beim Rückblick auf den Tag eine neue Perspektive, weil ein Wort mir nachgeht, weil es mein Herz brennen macht, weil es mich das neue Leben erahnen lässt.

„Krisen werden vorwärts gelebt – und rückwärts verstanden.“

Sammeln wir die guten Erfahrungen und teilen wir sie miteinander – sie verändern unser Leben nicht nur in diesen Tagen, sondern dauerhaft. Öffnen wir uns für das Neue, sehen wir das Positive – leben wir es.

Amen.

04/12/20

Predigt Ostern

Mt 28,1-10

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder, liebe Jugendliche!

Nichts ist mehr so wie es war.

Nichts ist mehr so wie es war, wenn die Erde bebt und alles in sich zusammenbricht: Häuser, Leben, Zukunft. Erdbeben sind an und für sich nichts Besonderes, sie ereignen sich immer wieder. Die Erde bebt dort, wo mehrere Erdplatten aneinander grenzen. Wenn diese Erdplatten aneinander stoßen und sich untereinander schieben, bebt und zittert die Erde mehr oder weniger stark. Seismographen zeichnen diese Erdspannungen auf und messen ihre Stärke. Seismographen halten Erdbeben und ihre Intensität für die Nachwelt fest und bezeugen eine Wirklichkeit.

Nichts ist mehr so wie es war.

Seit der Corona-Virus die Welt beherrscht und in Angst und Schrecken versetzt. Ende Dezember 2019 ist er in der Millionenstadt Wuhan auffällig geworden – ein lokales Erdbeben, das sich schnell auf ganz China ausbreitete und zur Epidemie auswuchs und das ganze Land erschütterte. Mittlerweile ist es eine weltweite Pandemie: Am 4. März wurden über eine Million Infizierte gezählt und 57.000 Tote – Tendenz steigend und dazu noch die hohe Dunkelziffer, die vielen Fälle, die (noch) gar nicht entdeckt und registriert sind. Erschütterungen, die uns wachrütteln und verunsichern. Die Welt hat sich grundlegend verändert – die Erde bebt in vielen Krisenherden – Corona ist nur einer davon.

Nichts ist mehr so wie es war.

Festgenagelt und durchbohrt hängt Jesus am Kreuz: tot. Alle Träume und Hoffnungen von einer mit Jesus anbrechenden Heilszeit sind aufs Kreuz gelegt, getötet und begraben. Erschütterung, Niedergeschlagenheit, Enttäuschung, ja Trostlosigkeit macht sich breit. Durch den Tod Jesu bricht eine Welt zusammen. Jede Mutter will nur das Beste für ihr Kind. Für Maria ist es erschütternd unter dem Kreuz zu stehen. Sie gerät ins Wanken, ist einem Zusammenbruch nah. Erschüttert und niedergeschlagen auch die Anhänger Jesu, seine Freunde und Jünger. Furcht und Schrecken bei den umstehenden Menschen. Der Evangelist Matthäus hat versucht diese intensiven Gefühle der aufgewühlten, bebenden und erschütterten Menschen in Worten auszudrücken. Als einziger der vier Evangelisten zeichnet er das Erdbeben auf, das der Tod Jesu auslöst. Es ist etwas Außergewöhnliches in einer erdbebenfreien Region: Dieses Erdbeben zeigt die tiefe Erschütterung, die der Tod Jesu hinterlässt:

Jesus aber schrie noch einmal mit lauter Stimme. Dann hauchte er den Geist aus. Und siehe, der Vorhang riss im Tempel von oben bis unten entzwei. Die Erde bebte und die Felsen spalteten sich. […] Als der Hauptmann und die Männer, die mit ihm zusammen Jesus bewachten, das Erdbeben bemerkten und sahen, was geschah, erschraken sie sehr und sagten: Wahrhaftig, Gottes Sohn war dieser!(Mt 27,50-51.54)

Das Erdbeben und der Todesschrei Jesu hat Menschen wachgerüttelt: Durch den Tod Jesu bricht eine Welt zusammen – nichts ist mehr so wie es war – die Welt hat sich mit dem Tod Jesu grundlegend verändert.

Nichts ist mehr so wie es war.

Wie ein Seismograph hält der Evangelist Matthäus alle wesentlichen Veränderungen fest. Durch ein weiteres Erdbeben am dritten Tag bezeugt er eine neue Wirklichkeit. Dieses Beben will nicht erschüttern oder zerstören – nein, es will aufrütteln und zum Umdenken bewegen:

Und siehe, es geschah ein gewaltiges Erdbeben; denn ein Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat an das Grab, wälzte den Stein weg und setzte sich darauf. Sein Aussehen war wie ein Blitz und sein Gewand weiß wie Schnee. Aus Furcht vor ihm erbebten die Wächter und waren wie tot. Der Engel aber sagte zu den Frauen: Fürchtet euch nicht! Ich weiß, ihr sucht Jesus, den Gekreuzigten. Er ist nicht hier; denn er ist [von den Toten] auferstanden, wie er gesagt hat. (Mt 28,2-6).

Das äußere Erdbeben ist wiederum ein Zeichen innerer Erschütterung bis ins Mark: „Aus Furcht […] erbebten die Wächter“ – sie waren vor Schreck wie gelähmt. Die Frauen am leeren Grab erfüllt ein innerliches Beben hervorgerufen durch die strahlende Lichtgestalt: fascinosum et tremendum – große Freude und Schrecken erschüttert die Frauen. Noch ist nichts entschieden – zwei Herzen schlagen ach in meiner Brust: Freude und Schrecken. Entscheidend ist die Begegnung mit dem Auferstandenen und seine Botschaft: „Fürchtet euch nicht.“ (Mt 28,10) Jetzt ist es entschieden wie das Herz der Frauen schlagen soll: Es soll voll Freude schlagen.

Nichts ist mehr wie es war. Durch die Auferstehung Jesu bricht eine Welt zusammen, die Welt des Todes. Nichts ist mehr so wie es war – die Welt hat sich mit der Auferstehung Jesu grundlegend verändert.

Die Welt hat sich verändert – durch den Tod Jesu vor fast 2000 Jahren und durch die erlebten und gefühlten Erdbeben unserer Tage – die Welt hat sich verändert – und wir? Lassen wir uns noch erschüttern?

Lassen wir uns anrühren vom Leid? Lassen wir uns noch aufrütteln?

Können wir angesichts des Todes und in erschütternden Lebenskrisen an das Leben glauben, oder macht sich Bestürzung breit?

Nicht nur die Welt muss sich verändern, sondern auch ich mich: trotz aller Lebenserschütterungen, trotz Corona und durch die Kreuze und Leiden dieser Zeit hindurch soll ich wie die Frauen am Grab erschüttert umdenken und zu einem Menschen der Hoffnung und Freude werden: Der Glaube an Gott und die Auferstehung Jesu Christi macht mich nicht erdbebensicher, oft werde ich katastrophal erschüttert, durch den Tod geliebter Menschen, die Einschränkung oder den Verlust von Lebensgewohnheiten und von Liebgewonnenem. Aber ich bleibe in dieser traurigen Erschütterung stecken, wenn ich mich nicht durch Jesus Christus erschüttern lasse. Der auferstandene Gekreuzigte erschüttert mich, er bewegt mich zum Leben und lässt mich zu einem österlichen Menschen werden. Fürchtet euch nicht!  Amen.

04/5/20

Predigt Palmsonntag LJ A

Mt 21,1-11+ Mt 27,11-54

Corona!
Sie wundern sich sicher über diese ungewöhnliche Anrede, liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder und Jugendliche, aber Sie haben richtig gelesen: „Corona!“, damit sind Sie gemeint – das lateinische Wort „corona“ bedeutet unter anderem „Versammlung“ – auch wenn diese in-folge von Corona nicht möglich ist – bzw. „Gemeinde“, „Kreis von Zu-hörern oder Lesern“. Corona! – dieser Beginn ist kein „schriftliches An-husten“ und auch keine Stigmatisierung von Menschen, sondern eine Anrede, in der auch die Angst dieser Tage mitschwingt: Corona.
Corona beherrscht unser Leben und das Leben der Menschen weltweit. Viele haben Angst vor einer Ansteckung, kennen vielleicht auch Men-schen im Freundes- und Bekanntenkreis oder in der eigenen Familie, die schon mit dem Corona-Virus infiziert sind. Die Corona-Bilder dieser Ta-ge prägen uns: die vielen Särge, Menschen, die nicht ausreichend medi-zinisch versorgt werden können und die qualvoll leiden, überlastete Menschen in der Pflege und in den Krankenhäusern, in den Gesundheits-ämtern und Teststationen, in den Läden und Versorgungsbetrieben – DANKE für alle lebenswichtigen und notwendigen Dienste und Arbei-ten! – die Auswirkungen auf die Landwirtschaft, die Wirtschaft, auf die Arbeit und den Arbeitsplatz, auf die Situation in den Familien…
Corona prägt diese Tage und Wochen – auch die Kar- und Ostertage sind in diesem Jahr ganz anders als sonst: die regulären Gottesdienste entfal-len, die in vielen Familien traditionellen Besuche an Ostern sollen nicht stattfinden – die Gemeinschaft mit Jesus Christus und untereinander im Sonntagsgottesdienst wird schmerzlich vermisst, wie auch private und familiäre Sozialkontakte, aber „eine Pandemie kennt keine [leider] Feier-tage“, so Bundeskanzlerin Merkel vor wenigen Tagen.
Dieses „ganz anders“ bzw. „anders als erwartet“ prägt auch den Palm-sonntag, den Beginn der Karwoche. Auch unsere christlichen Kirchen haben bei aller ökumenischer Verbundenheit doch verschiedene Lese-ordnungen: In der evangelischen Tradition wird der Einzug Jesu nach Je-rusalem gelesen; es ist das einzige Evangelium, das im Lauf des Jahres-kreises zweimal gelesen wird, nämlich auch noch am 1. Advent; Advent bedeutet ja Ankunft. In der katholischen Tradition wird bei der Segnung der Palmzweige auch dieses Evangelium gelesen – im Gottesdienst aber zusätzlich die Passion des jeweiligen Lesejahres, in diesem Jahr die (Kurzfassung der) Matthäuspassion. Der Palmsonntagsgottesdienst bringt somit den Freudenjubel und die Karfreitagsstimmung zusammen.
Jesus zieht als König in Jerusalem ein, „anders als erwartet“: Demütig und auf einem Esel reitet Jesus in Jerusalem ein. Er kommt nicht hoch zu Ross – nicht wie die Stadthalter, Könige und Kaiser seiner Zeit. Der Esel ist das Reittier der armen Leute. Für sie, für die Armen will Jesus König sein –
keiner, der sie ausbeutet und knechtet, sondern einer, der für sie da ist in ih-rem Leid und sich um sie sorgt. Jesus ist damit Vorbild und Ermutigung für alle, die sich in diesen Tagen demütig, das heißt mit Mut zum Dienen, für andere einsetzten – nah am Menschen mit dem nötigen Abstand.
Im Gegensatz zum Pferd ist der Esel kein Fluchttier. Ein Esel hält stand, er hält durch, er hält (Schicksals-)Schläge aus. Symbolisch steht der Esel da-her für Jesus selbst: Jesus flieht nicht angesichts des Unheils, das sich über ihm zusammenbraut. Er hält Schläge aus und im Leiden stand. Für Außen-stehende ist Jesus daher ein dummer Esel, einer der seine Haut nicht rettet, sondern sein Leben für andere hingibt. Aber Jesus handelt konsequent: Er geht seinen Weg bis zum Ziel, auch wenn dieser Weg ans Kreuz führt.
Beim Einzug in Jerusalem trägt Jesus keine goldene Krone (lat.: corona). Jesus will sich nicht größer und wichtiger machen – auch als Sohn Gottes und erwarteter Messias will er ganz Mensch sein und bleiben. Einige Ta-ge später trägt Jesus eine Krone aus Dornen. Jesus ist der coronatus. Er trägt die dornige corona, die andere ihm grausam auf den Kopf drücken. Er trägt mit an den Schmerzen und Qualen der Menschen. Er leidet mit uns in diesen Tagen, Wochen und Monaten von Corona: „Er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen“ (Jes 53,4).
Im Königtum Jesu klingt seine Passion an: seine Leidenschaft für die Menschen und seine Leidensbereitschaft für die Menschen – aus Liebe: für uns Menschen ist Gott in Jesus Christus zur Welt gekommen – nicht um uns zu strafen, sondern um uns zu retten – aus Liebe. Für uns Men-schen trägt Jesus die corona, nimmt Kreuz und Leid auf sich und lässt sich aufs Kreuz legen – pro nobis – für uns – aus Liebe.
Mit grünen Zweigen, den Zeichen des Lebens, jubelt die Volksmenge Jesus bei seinem Einzug in Jerusalem zu: Hosanna, dem Sohne Davids! Zweige, die bald zu Dornen werden, zu Peitschen und Geiseln, mit denen Soldaten mit Hohn und Spott auf Jesus einschlagen: Heil dir, König der Juden! Zweige, die mich mahnen, über meine Rolle in der Passion Jesu nachzu-denken. Wo übe ich körperliche Gewalt aus, wo missbrauche ich meine Machtposition, wo schlage ich verbal auf andere ein? Wie leicht lasse ich mich von der Meinungsmache der Massen(-medien), von Angst oder von Sensationsgier anstecken? Ist das Kreuzige ihn! auch mein Ruf?
Kreuzwege finden sich nicht nur in unseren offenen Kirchen, wo der Leidensweg Jesu auch in diesen Tagen nachgegangen und erinnert wer-den kann – jede und jeder für sich. Kreuzwege sind überall dort, wo Menschen Kreuze tragen, wo sie mit Leid und Schmerz – und aktuell mit Corona – geschlagen sind, wo sie hungern nach Leben in Freiheit, Ge-rechtigkeit und Frieden. Das Evangelium vom Palmsonntag und die Lei-densgeschichte von Jesus Christus laden mich ein, über meine Rolle in den Lebenswegen und Kreuzwegen meiner Mitmenschen nachzudenken.
An dieser Stelle erfolgt bewusst kein „Amen“.

Das „Amen“ kann jede(r) selber sprechen, wenn er/sie die Predigt zu Ende gedacht hat.