Predigt Palmsonntag LJ A

Mt 21,1-11+ Mt 27,11-54

Corona!
Sie wundern sich sicher über diese ungewöhnliche Anrede, liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder und Jugendliche, aber Sie haben richtig gelesen: „Corona!“, damit sind Sie gemeint – das lateinische Wort „corona“ bedeutet unter anderem „Versammlung“ – auch wenn diese in-folge von Corona nicht möglich ist – bzw. „Gemeinde“, „Kreis von Zu-hörern oder Lesern“. Corona! – dieser Beginn ist kein „schriftliches An-husten“ und auch keine Stigmatisierung von Menschen, sondern eine Anrede, in der auch die Angst dieser Tage mitschwingt: Corona.
Corona beherrscht unser Leben und das Leben der Menschen weltweit. Viele haben Angst vor einer Ansteckung, kennen vielleicht auch Men-schen im Freundes- und Bekanntenkreis oder in der eigenen Familie, die schon mit dem Corona-Virus infiziert sind. Die Corona-Bilder dieser Ta-ge prägen uns: die vielen Särge, Menschen, die nicht ausreichend medi-zinisch versorgt werden können und die qualvoll leiden, überlastete Menschen in der Pflege und in den Krankenhäusern, in den Gesundheits-ämtern und Teststationen, in den Läden und Versorgungsbetrieben – DANKE für alle lebenswichtigen und notwendigen Dienste und Arbei-ten! – die Auswirkungen auf die Landwirtschaft, die Wirtschaft, auf die Arbeit und den Arbeitsplatz, auf die Situation in den Familien…
Corona prägt diese Tage und Wochen – auch die Kar- und Ostertage sind in diesem Jahr ganz anders als sonst: die regulären Gottesdienste entfal-len, die in vielen Familien traditionellen Besuche an Ostern sollen nicht stattfinden – die Gemeinschaft mit Jesus Christus und untereinander im Sonntagsgottesdienst wird schmerzlich vermisst, wie auch private und familiäre Sozialkontakte, aber „eine Pandemie kennt keine [leider] Feier-tage“, so Bundeskanzlerin Merkel vor wenigen Tagen.
Dieses „ganz anders“ bzw. „anders als erwartet“ prägt auch den Palm-sonntag, den Beginn der Karwoche. Auch unsere christlichen Kirchen haben bei aller ökumenischer Verbundenheit doch verschiedene Lese-ordnungen: In der evangelischen Tradition wird der Einzug Jesu nach Je-rusalem gelesen; es ist das einzige Evangelium, das im Lauf des Jahres-kreises zweimal gelesen wird, nämlich auch noch am 1. Advent; Advent bedeutet ja Ankunft. In der katholischen Tradition wird bei der Segnung der Palmzweige auch dieses Evangelium gelesen – im Gottesdienst aber zusätzlich die Passion des jeweiligen Lesejahres, in diesem Jahr die (Kurzfassung der) Matthäuspassion. Der Palmsonntagsgottesdienst bringt somit den Freudenjubel und die Karfreitagsstimmung zusammen.
Jesus zieht als König in Jerusalem ein, „anders als erwartet“: Demütig und auf einem Esel reitet Jesus in Jerusalem ein. Er kommt nicht hoch zu Ross – nicht wie die Stadthalter, Könige und Kaiser seiner Zeit. Der Esel ist das Reittier der armen Leute. Für sie, für die Armen will Jesus König sein –
keiner, der sie ausbeutet und knechtet, sondern einer, der für sie da ist in ih-rem Leid und sich um sie sorgt. Jesus ist damit Vorbild und Ermutigung für alle, die sich in diesen Tagen demütig, das heißt mit Mut zum Dienen, für andere einsetzten – nah am Menschen mit dem nötigen Abstand.
Im Gegensatz zum Pferd ist der Esel kein Fluchttier. Ein Esel hält stand, er hält durch, er hält (Schicksals-)Schläge aus. Symbolisch steht der Esel da-her für Jesus selbst: Jesus flieht nicht angesichts des Unheils, das sich über ihm zusammenbraut. Er hält Schläge aus und im Leiden stand. Für Außen-stehende ist Jesus daher ein dummer Esel, einer der seine Haut nicht rettet, sondern sein Leben für andere hingibt. Aber Jesus handelt konsequent: Er geht seinen Weg bis zum Ziel, auch wenn dieser Weg ans Kreuz führt.
Beim Einzug in Jerusalem trägt Jesus keine goldene Krone (lat.: corona). Jesus will sich nicht größer und wichtiger machen – auch als Sohn Gottes und erwarteter Messias will er ganz Mensch sein und bleiben. Einige Ta-ge später trägt Jesus eine Krone aus Dornen. Jesus ist der coronatus. Er trägt die dornige corona, die andere ihm grausam auf den Kopf drücken. Er trägt mit an den Schmerzen und Qualen der Menschen. Er leidet mit uns in diesen Tagen, Wochen und Monaten von Corona: „Er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen“ (Jes 53,4).
Im Königtum Jesu klingt seine Passion an: seine Leidenschaft für die Menschen und seine Leidensbereitschaft für die Menschen – aus Liebe: für uns Menschen ist Gott in Jesus Christus zur Welt gekommen – nicht um uns zu strafen, sondern um uns zu retten – aus Liebe. Für uns Men-schen trägt Jesus die corona, nimmt Kreuz und Leid auf sich und lässt sich aufs Kreuz legen – pro nobis – für uns – aus Liebe.
Mit grünen Zweigen, den Zeichen des Lebens, jubelt die Volksmenge Jesus bei seinem Einzug in Jerusalem zu: Hosanna, dem Sohne Davids! Zweige, die bald zu Dornen werden, zu Peitschen und Geiseln, mit denen Soldaten mit Hohn und Spott auf Jesus einschlagen: Heil dir, König der Juden! Zweige, die mich mahnen, über meine Rolle in der Passion Jesu nachzu-denken. Wo übe ich körperliche Gewalt aus, wo missbrauche ich meine Machtposition, wo schlage ich verbal auf andere ein? Wie leicht lasse ich mich von der Meinungsmache der Massen(-medien), von Angst oder von Sensationsgier anstecken? Ist das Kreuzige ihn! auch mein Ruf?
Kreuzwege finden sich nicht nur in unseren offenen Kirchen, wo der Leidensweg Jesu auch in diesen Tagen nachgegangen und erinnert wer-den kann – jede und jeder für sich. Kreuzwege sind überall dort, wo Menschen Kreuze tragen, wo sie mit Leid und Schmerz – und aktuell mit Corona – geschlagen sind, wo sie hungern nach Leben in Freiheit, Ge-rechtigkeit und Frieden. Das Evangelium vom Palmsonntag und die Lei-densgeschichte von Jesus Christus laden mich ein, über meine Rolle in den Lebenswegen und Kreuzwegen meiner Mitmenschen nachzudenken.
An dieser Stelle erfolgt bewusst kein „Amen“.

Das „Amen“ kann jede(r) selber sprechen, wenn er/sie die Predigt zu Ende gedacht hat.