PREDIGT 33. SO IM JK (A)

Spr 31,10-13.19-20.30-31 + Mt 25,14-30

Wie schlimm wäre es, wenn in unserer Sprache einige Buchstaben fehlen würden. Wenn wir z. B. wie im Neuhebräischen keine Vokale hätten, wenn es kein a und o gäbe und auch kein e, i oder u. Wir wären ganz schön arm dran, wenn uns die Vokale fehlen würden. L – B – N: bei diesem Wort kämen wir ganz schön ins Grübeln: Versuchen Sie doch einmal aus dieser Buchstabenkombination L – B – N ein lesbares Wort zu bilden. Ergänzen Sie einfach Vokale a, e, i, o, u und bilden sie ein Wort aus L – B – N.
L – B – N könnte laben bedeuten. L – B – N könnte auch für leben stehen, oder für lieben. Auch das Wort loben ließe sich aus L – B – N ableiten. Je nachdem welche Vokale ich einsetze, käme ein anders Wort heraus – und dadurch wäre der Sinn eines Satzes jeweils ein anderer. Es ist deshalb wichtig alle Buchstaben zu kennen und keine halben Sachen zu machen. Nur so kann der wahre Gehalt eines Textes richtig erfasst werden; nur so bleibt die Textaussage unverfälscht echt und unbeschnitten wahr.
Der Lesungstext aus dem Buch der Sprichwörter war das Lob der tüchtigen Hausfrau. In den Versen, die wir gehört haben (vgl. Spr 31,10-13.19-20.30-31), wird die Frau so beschrieben: ein biederes Heimchem am Herd, eine treusorgend fromme Strickliesel, die gerade noch für caritative Aufgaben taugt.
Doch das ist nur die halbe Wahrheit: Schnipp – schnapp. Der Bibeltext wurde für die gültige Leseordnung beschnitten, verstümmelt von Männerhand; Kirchenmänner, die ihre Macht und ihren Einfluss geltend machten, damit anstößige Verse weggeschnitten wurden. Schnipp – schnapp. Was nicht ins Bild passte, wurde passend gemacht, damit ein passendes Frauenbild nach dem Geschmack des Mannes entstand: die Frau ihrem Mann in allem ergeben. Auch von Kirchenmännern wurde die Unselbständigkeit der Frau Jahrhunderte lang so begründet. Und wir haben ihnen geglaubt…
Die Bibel selber lesen, lohnt sich – nicht nur für Frauen. Denn auch Männer können dabei einiges entdecken und wichtiges lernen – Kirchenmänner, wie ich einer bin, auch! Ich lese deshalb jetzt ganz bewusst die weggeschnittenen Verse – hören Sie bitte genau zu: Die tatkräftige Frau „gleicht den Schiffen des Kaufmanns: Aus der Ferne holt sie ihre Nahrung. Noch bei Nacht steht sie auf, um ihrem Haus Speise zu geben und den Mägden, was ihnen zusteht. Sie überlegt es und kauft einen Acker, vom Ertrag ihrer Hände pflanzt sie einen Weinberg. Sie gürtet ihre Hüften mit Kraft und macht ihre Arme stark. Sie spürt den Erfolg ihrer Arbeit, auch des Nachts erlischt ihre Lampe nicht“ (Spr 31,14-18). Ein neues Frauenbild eröffnet sich mir: Die Frau sitzt nicht herum, sondern führt ein kleines Unternehmen. Als Hausherrin sorgt sie dafür, dass im Haus und auf dem Hof alles läuft; zur Not auch allein, wenn der Mann z.B. im Krieg oder in diesem gefallen ist. Sie sorgt für Essen und Lohn. Eigenständig macht sie Geschäfte, kauft einen Acker, bestellt einen Weinberg. Eigener Erfolg ist ihr beschert. Ein Frauenbild, das für uns heute selbstverständlich ist, aber noch in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts die große Ausnahme war: ohne die Einwilligung ihres Mannes hatte eine Ehefrau keine Chance einer Arbeit außerhalb des eigenen Haushalts nachzugehen.
Dass einigen Männern, v. a. Purpurträgern, dieses emanzipierte Frauenbild zu weit ging, zeigt auch das Wegschneiden der folgenden Verse:
Der tatkräftigen Frau „bangt nicht für ihr Haus vor dem Schnee; denn ihr ganzes Haus ist in prächtigem Rot gekleidet. Sie hat sich Decken gefertigt, Leinen und Purpur sind ihr Gewand. Ihr Mann ist in den Torhallen geachtet, wenn er zu Rat sitzt mit den Ältesten des Landes. Sie webt Tücher und verkauft sie, Gürtel liefert sie dem Händler. Kraft und Würde sind ihr Gewand, sie spottet der drohenden Zukunft. Sie öffnet ihren Mund in Weisheit und Unterweisung in Güte ist auf ihrer Zunge. Sie achtet auf das, was in ihrem Haus vorgeht, Brot der Faulheit isst sie nicht. Ihre Kinder stehen auf und preisen sie glücklich, auch ihr Mann erhebt sich und rühmt sie: Viele Frauen erwiesen sich tüchtig, doch du übertriffst sie alle“ (Spr 31,21-29). Hier finde ich neben der Erwerbsarbeit noch einen ganz neuen Aspekt: die Weisheit der Frau. Sie macht kein törichtes Geschwätz, ist keine „Ratschkaddl“ oder „Leerwaafen“, sondern ist eine würdige Gesprächspartnerin. Das purpurne Gewand, das sie trägt, ist sprechendes Zeichen: Frauen hatten Einfluss und Macht, denn Purpur war damals der teuerste Stoff der Welt. Purpur war die Farbe der Gelehrten – und auch Frauen zählten dazu. Denken wir nur an die heilige Katharina, die so klug und gelehrt war, dass ihr 50 Philosophen im theologischen Disput nicht das Wasser reichen konnten.
Schnipp – schnapp – wegschneiden kann man(n) viel. Ob bei dieser Text-Schnippelei etwas Gutes herauskommt oder nur fake? Legen wir die verletzenden Scheren zur Seite! Als Männer und Frauen sind wir Volk Gottes, jede und jeder mit eigenen Fähigkeiten und Talenten – sie zu vergraben und ungenutzt zu lassen, wäre dem Willen Gottes zuwider bzw. gegen das Himmelreich (vgl. Mt 25,14-30). Frauen haben heute etwas zu sagen in Staat, in Politik, in Gesellschaft – und auch in der Kirche. Gott sei Dank! AMEN.