PREDIGT 3. FASTENSONNTAG (A)

Ex 17,3-7 + Joh 4,5-42 (Langfassung)

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder, liebe Jugendliche!
Trockenheit – Ausgedorrt-Sein. Der Durst unserer Erde, des Erdbodens – trotz des Regens und des Niederschlags der letzten Tage ist Wasserknappheit: aufgrund der zu trockenen Sommer und zu niederschlagsarmen Winter ist der Grundwasserspiegel dramatisch gesunken – mancherorts über 2 Meter – flachwuzelnde Pflanzen und Bäume verdorren; ein Phänomen mit dem Teile Afrikas schon seit Jahrzehnten zu kämpfen hat. Die einst gegrabenen Brunnen führen kein Wasser mehr; sie reichen nicht mehr bis in die wasserführenden Schichten. Wir wollten diese Anzeichen des schleichenden Klimawandels auf unserer Welt über Jahrzehnte nicht sehen…
Wasser ist Leben: unser „Blauer Planet“ (vgl. MISEREOR-Fastentuch) besteht zum Großteil aus Wasser: Salzwasser, Süßwasser und Trinkwasser. Doch auch dieses Wasser ist bedroht durch die Vermüllung und Vergiftung der Ozeane; Vielerorts gibt es keinen gesicherten Zugang zu sauberem, trinkbarem Wasser. Trockenheit – Ausgedorrt-Sein: Die Lebensgrundlage vieler Menschen steht auf dem Spiel: Wasser ist Leben – Wasser ist Überleben; da geht es vielen Menschen nicht anders als dem murrenden Volk Israel in der Wüste: Wasser und das (Über-)Leben sind den Menschen wichtiger als die Freiheit, in die Mose sie mit Gottes Hilfe geführt hatte (vgl. Ex 17,3).
Trockenheit – Ausgedorrt-Sein: Wasser ist Leben – Wasser des Lebens. Die Frau, die zum Jakobsbrunnen kommt (vgl. Joh 4,5-42), dürstet nach Leben – nach der Fülle des Lebens, nach der Füllung mit Leben und nach der Erfüllung im Leben. Das ist der Durst der Samariterin – er hat mehrere Ebenen: tagtäglich der weite Weg zum Brunnen um Wasser zu schöpfen – hin und zurück – flüchtige oder zerbrochene Beziehungen, geschieden oder verwitwet sein, immer wieder eine neue Beziehung beginnen (müssen) und (in der damaligen Zeit) vom Mann abhängig sein – sich immer wieder (vor anderen) rechtfertigen müssen – das erschöpft, zermürbt, trocknet aus.
Die Frau kommt in der sechsten Stunde zum Brunnen – in der glühenden Mittagshitze. Keine(r) verlässt zu dieser Zeit das Haus um den beschwerlichen Weg zum Brunnen und zurück zu gehen – Jesus macht eine Mittagsrast, Siesta am Brunnen. Frauen gehen normalerweise in der Kühle des Morgens zum Brunnen – auch um sich zu treffen: der Brunnen als Begegnungsort und zum Austausch von Neuigkeiten. Die Samariterin geht mittags – sie will niemanden treffen und trifft auf Jesus. Für sie wird der Brunnen zu einem besonderen Begegnungsort, zu einem Ort des Lebens.
Die Frau kämpft gegen Dürre und Leere in ihrem Leben an: Sie will Leben. Sie schöpft Wasser gegen die Erschöpfung – und erkennt Gott als Schöpfer des Lebens an. Es ist die Bitte um Wasser – beide bitten, die samaritische Frau und Jesus – ein Dialog, der „Grenzen“ überschreitet: Es galt als unschicklich, wenn ein wildfremder Mann eine Frau ansprach (vgl. Joh 4,27) – es sei denn, er hatte eindeutige Absichten und die waren weit mehr als nur Wasser… Zudem vermieden Juden das Gespräch mit Samaritern. Trotzdem lässt sich die Frau in ihrem Durst nach Leben auf dieses unmögliche Gespräch mit dem Fremden ein, das Frage für Frage rasch in die Tiefe geht:
Der Fremde wird für sie zur sprudelnden Quelle, die Leben und neue Lebendigkeit schenkt, ja sogar ins ewige Leben fließt (vgl. Joh 4,14). Die Frau erahnt in dem Fremden den Messias, den Christus (vgl. Joh 4,25.29).
Ein Dialog der Nationen und Religionen auch über so manche Grenze hinweg, ist möglich: Gott als Schöpfer anzuerkennen, die Schöpfung zu bewahren und Leben auch für nachfolgende Generationen zu ermöglichen, ist Gabe und Aufgabe Gottes an alle Menschen. Darauf verweisen auch die beiden Händepaare auf dem MISEREOR-Fastentuch, die die fragile und labile Erde (er-)halten. Wir haben es in der Hand: Nicht Ölquellen sind entscheidend, sondern die Quelle, die sich allen schenkt und dem Leben dient und nicht der Bereicherung Einzelner – für uns Christen ist Jesus Christus diese Quelle des Lebens und der ist für uns der „Retter der Welt“ (Joh 4,42).
Es braucht Begegnungsorte mit Jesus Christus, weil der Grundwasserspiegel des Glaubens rapide gesunken ist: Glaube und Glaubensinhalte sind bei vielen vertrocknet, ja über Jahre verdorrt. Wir brauchen das Wasser des Lebens, das uns Jesus Christus als Quelle des Lebens schenkt. Jesus Christus ist da: Er wartet selbst in der Mittagshitze auf uns, auf die Begegnung mit uns und dass wir uns auf das Gespräch mit IHM einlassen, wie die Samariterin. Diese Frau schenkt weiter, was sie selbst erfüllt hat. Sie wird zur Schale, die weitergibt, ohne leer zu werden. Sie kämpft an gegen den Durst und die Dürre in ihrem Leben und gegen das Ausgedorrt-Sein ihrer Mitmenschen. Die Frau wird zur Verkünderin (vgl. Joh 4,28-29.39): von der Wasserträgerin zu Apostelin in einer männerdominierten Welt – eine Wandlung und Öffnung durch die Begegnung mit Jesus Christus – auch in unserer katholischen Kirche, an diesem Wochenende (vgl. Entscheidung d. Synodalen Weges). AMEN.

Das Misereor-Hungertuch 2023 „Was ist uns heilig?“ von Emeka Udemba © Misereor
Das Misereor-Hungertuch 2023 „Was ist uns heilig?“ von Emeka Udemba © Misereor

PREDIGT 2. FASTENSONNTAG (A)

Gen 12,1-4a + Mt 17,1-9

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder und Jugendliche!
Sich auf den Weg machen, beginnt mit dem ersten Schritt, ja, früher noch, mit dem Abwägen, ob es sich lohnt aufzubrechen: Wie ist das Wetter? Habe ich die richtige Ausrüstung und ausreichend Kraft? Lohnt das Ziel die Mühe?
Abram wird von Gott aufgefordert aufzubrechen (vgl. Gen 12,1-4a). Die Heimat Ur in Chaldäa soll er verlassen; ebenso seine Verwandten und Freunde. Das Ziel, die neue Heimat, ist ein unbekanntes Land; der Weg dorthin ist unklar; ebenso wie lange die Reise dauert. Gott will den Weg dahin zeigen. Ob ich da freiwillig aufgebrochen wäre? Ob ich Gott vertraut hätte?
Das einzige, was Gott mitgibt, ist sein Segen und die Zusage, dass alles gut werden wird. Abram, der im hohen Alter noch keine Kinder hat, soll Stammvater eines großen Volkes werden. Eigentlich unwahrscheinlich, ja unglaublich. Lass Gott nur reden… Kann ich Gott glauben und ihm und seiner Verheißung trauen? Ob ich mit dieser wagen Verheißung aufgebrochen wäre?
Unter der Führung Jesu erklimmen Petrus, Jakobus und Johannes einen „hohen Berg“ (Mt 17,1). Sicher ein anstrengender Weg und kein Spaziergang – nicht nur körperlich, sondern auch psychisch: Jesus hatte den Jüngern angekündigt, dass er nach Jerusalem gehen und dort leiden, sterben und auferweckt werde – Petrus will das das nicht geschieht (vgl. Mt 16,21-23); Petrus will Jesus nicht verlieren; er will nicht, dass Jesus stirb. Diese düsteren Gedanken gehen mit, als sie mit Jesus auf den Berg gehen – ähnlich wie wir unsere Gedanken nicht abstellen können, wenn wir zum Gottesdienst kommen. „Sechs Tage“ nach dieser Leidensankündigung (Mt 17,1), am siebten Tag (!) – die zurechtgeschnittene Lesung verschweigt dieses wichtige Detail – der Lichtblick: Die Jünger sehen nicht mehr Schwarz, sondern Jesus in einem anderen, in strahlendem Licht: Jesus leuchtet „wie die Sonne“ (Mt 17,2) – eine österliche Zukunftsvision auf die Zeit nach Leiden, Kreuz und Tod. Trotzdem ist da zunächst Furcht, weil durch die Wolke wieder ein Schatten auf die Jünger fällt und auch Ehrfurcht vor Gottes Stimme. Die Jünger werfen sich mit dem Gesicht zu Boden und fürchten sich sehr (vgl. Mt 17,6).
Was bringen wir mit an „seelischem Gepäck“? Was versetzt uns in Angst uns Schrecken? Der Krieg vor Europas Haustür, der über ein Jahr lang andauert und dessen Ausgang ungewiss ist? Ein drohender Atomkrieg? Immer mehr Geflüchtete, die aufbrechen, um bei uns eine neue Heimat zu finden? Die zerrissene Welt, auf die das MISEREOR-Fastentuch hinweist?
Der Künstler Emeka Udemba, gebürtig aus Nigeria, zeigt diese zerrissene Welt – und auch, dass verschiedene Krisen miteinander verklebt sind: Der Künstler hat aus Zeitungen herausgerissene Schnipsel zu einer Collage verarbeitet und mit Farbe übermalt. Es bleiben Fragen: Wieviel Platz hat die Erde? Wieviel Platz braucht der Mensch? Wo ist Leben lebenswert? Warum gibt es so viele, die ihre Heimat verlassen (müssen)? Was ist ihr Lichtblick?
Der Hintergrund des Fastentuches ist in ROT gehalten – eine gefährliche Atmosphäre für die Erde: Es ist das Blut-Rot der Kriege, das auch auf der Erdkugel zu sehen ist. Es ist das Feuer-Rot von Rodung und Abbrennen des Regenwaldes, der „grünen Lunge“ der Erde. Ein alarmrotes Warnsignal für uns: Es ist nicht fünf, sondern schon zwei vor Zwölf, wenn wir die Erde noch retten wollen… Wo ist der Lichtblick, der Silberstreif am Horizont?
Was tun? Wir könnten ähnlich wie Petrus es wollte, „drei Hütten bauen“ (Mt 17,4), um an den „guten alten Zeiten“ festzuhalten oder eingehaust in den Hütten auf einen Lichtblick „eine gute, helle und freundliche, ja lebenswerte Zukunft“ zu warten. Wir könnten auch wie die Jünger den Kopf angstvoll in den Sand stecken, um das alles nicht sehen zu müssen oder wahrhaben zu wollen; oder den Blick resigniert und kopfschüttelnd zu Boden richten: Da ist nichts mehr zu machen, nichts mehr zu retten.
Hören wir das Wort Gottes an die drei Jünger, denn es gilt auch uns: „Dieser [im Licht Verklärte] ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe; auf ihn sollt ihr hören“ (Mt 17,5). Jesus Christus, der hineinstrahlt in die Sorgen und Nöte unseres Alltags und unserer Welt, ja der „das Licht der Welt“ (Joh 8,12) ist, ER sagt uns heute den entscheidenden Satz: „Steht auf und fürchtet euch nicht!“ (Mt 17,7).
Nicht hoffnungslos sitzenbleiben und verzagt abwarten, sondern beherzt aufstehen, aufbrechen und furchtlos handeln und mutig glauben – mitten im Alltag, dazu ermutigt Jesus: „Steht auf und fürchtet euch nicht!“ (Mt 17,7). Handeln im Hier und Jetzt, sich gegen die Klimakrise stemmen, um zu retten, was noch zu retten ist – und glauben im Hier und Jetzt, an Jesus Christus, den leidenden und gekreuzigten Auferstandenen, und an die Auferstehung, die auch uns als gute Zukunft verheißen ist. Auf diesem, unseren Lebens- und Glaubensweg sind wir nicht allein – wir gehen gemeinsam. Wie Abram, der mit Gottes Segen ging und mit Lot, auch wenn die Leseordnung Abrams Begleiter und dessen Familie weggeschnitten hat (vgl. Gen 12,4a). Jesus Christus geht mit den Jüngern und mit uns ins „Tal der Alltagssorgen“; ER ist uns „Weg und Wanderstab durchs Kreuz zum Ostermorgen“ (GL 363/3). „Steht auf und fürchtet euch nicht!“ (Mt 17,7): Glaubt und handelt!

Das Misereor-Hungertuch 2023 „Was ist uns heilig?“ von Emeka Udemba © Misereor
Das Misereor-Hungertuch 2023 „Was ist uns heilig?“ von Emeka Udemba © Misereor

PREDIGT 7. SONNTAG IM JK (A)

1 Kor 3,16-23 + Mt 5,38-48


Der Feind hört nicht auf Gottes Geist,
sein Tun aus andren Quellen speist,
und die sind böse und gemein,
bereiten and’ren große Pein.
Was sagt denn Jesus da dazu?
Wer dich auch schlägt, den lass in Ruh!
Dem halt die andre Wange hin (Mk 5,39),
dann brichst vielleicht des Feindes Sinn!
Frauen und Kinder haben das erlitten,
auch in der Kirche – unbestritten,
Missbrauch und Schläge sind nicht schön,
das muss sich ändern, bitteschön!
Die Worte Jesu – das ist ihr Gehalt –
sind keine Legitimation für häusliche Gewalt.
Drum ist es gut, es ist nicht schlecht,
wenn Frauen pochen auf ihr Recht,
nicht nur im Orient, im Iran,
wo Frauenrechte sind arm dran.
Wo Religion den Hass diktiert
und Frauen täglich schikaniert,
brutal misshandelt, unterdrückt,
zu Recht man auf die Straße rückt,
Veränderungen fordert ein,
weil jede(r) Gottes Kind tut sein.
Wie sind Jesu Worte dann gemeint,
wenn sie nicht passend, wie es scheint.
Was nützt es mir denn nachzugeben,
außer dass ich fromm bin im Leben?
Auf Genugtuung und Vergeltung soll ich verzichten,
ein Narr müsst ich sein, tät ich mich danach richten –
so denken viele, manchmal auch ich,
aber wenn ich nachdenk‘, merke ich:
Nur wer gelassen ist, der kann es wagen,
überhaupt erst nicht zurückzuschlagen;
nur wer beherrscht und souverän,
wird meistern diesen Streit bequem;
Er spart zudem auch seine Kraft,
der Schmutz perlt ab, ganz meisterhaft;
am anderen da bleibt er haften,
der muss sein‘ eig’nen Schmutz verkraften.
Wer nachgibt, hat ein höher Ziel,
im Sinne Jesu geht’s um viel:
um mehr an Liebe, darum geht es –
ich hoffe, dass auch Ihr versteht es!
Der Maßstab, das ist die Macht der Liebe,
sie wird siegen, wenn ich sie einübe.
Die Liebe zur Macht ist nicht gemeint,
die trennt mehr, als dass sie vereint.
Die Liebe nimmt manch Ohnmacht hin,
verschenkt sich, gibt sich für andere hin (vgl. Mk 5,42),
wie Jesus in dem Kreuzestod,
gelitten hat für unsere Not.
Die Liebe siegt über den Tod sogar,
die Auferstehung macht es offenbar:
Nachgeben bis in den Tod hinein –
kann auch des Lebens Schlüssel sein.
Nachgeben hilft, in hilflosen Stunden:
Mach Ausweg, den hat Gott gefunden –
für mich –, damit ich auf ihm geh,
wenn ich vertraue, zu ihm steh.
Wenn ich ihn liebe, meinen Gott,
wird er mir helfen in der Not
und auch die Menschen, Mann und Frau.
Die Liebe siegt! – AMEN! – HELAU!

PREDIGT 6. SONNTAG IM JK (A)

Sir 15,15-20 + Mt 5,17-37 (Langfassung)

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Jugendliche!
Ich habe einen Traum, der mich seit Kindertagen begleitet – keinen der mir nachts den Schlaf raubt, sondern einen, der immer wieder mal hoch- und mir in den Sinn kommt; ein Traum, der mich fasziniert: einmal bei einer archäologischen Grabung dabei sein zu können…; behutsam immer tiefer zu graben…, dem Erdreich ein Geheimnis entlocken… und einen wertvollen Fund zu machen… – bei der Ausgrabung und Entdeckung von Pharaonen-gräbern wäre ich gerne dabei gewesen… . Mein Traum ist ein Traum ge-blieben und noch nicht Wirklichkeit geworden. Aber Träume darf man ja haben, oder? Das feinfühlige Graben und Suchen, das immer tiefere Hineinkommen in einen Text, der sich oberflächlich ganz anders liest, das ist es, was mich an biblischen Texten fasziniert: Entdecker sein, Schatzsucher.
Die heutigen Worte der Bergpredigt sind für mich eine Herausforderung. Wie oft ist mein Leben das genaue Gegenteil von dem, was Jesus in klaren Worten fordert. Ertappt: Da habe ich schon wieder ganz anders gehandelt. Da bin ich ganz weit weg vom Ideal, das Jesus predigt. Da komme ich gedanklich schon in die Versuchung, es gleich sein zu lassen: „Ich schaffe es ja doch nicht, also muss ich es erst gar nicht probieren.“ Der Anspruch Jesu ist mir zu hoch – weit über meiner menschlichen Lebenswirklichkeit.
Ich will hinter die Oberfläche der Worte Jesu schauen – will in die Tiefe gehen und entdecken, was an Wertvollem in ihnen steckt – und was sie mir für mein Leben zu sagen haben.
Jesu Worte fordern mich auf zu größerer Tiefe – zu einer tieferliegenden, ja grundlegenden Gerechtigkeit: „Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und der Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen“ (Mt 5,20). Ich soll tiefer gehen als die Experten der Heiligen Schrift, tiefer gehen als die, die alle Gebote und Verbote kennen – und denen das Halten dieser Vorschriften wichtig ist. Obwohl sie jeden Buchstaben des Gesetzes erfüllen, bleibt ihr Tun oft an der Oberfläche, weil sie tief im Herzen ganz anders denken und auch handeln würden.
Jesus kommt es auf das Herz an – auf meine innere Haltung. Gerechtigkeit, diese Haltung soll in meines Herzens Grunde sein. Gerechtigkeit steht in der Bibel oft für „ein rechtschaffenes Leben“ – ein Leben nach Gottes Vorstellung – ein Leben, das nicht nur oberflächlich alle Gebote einhält, sondern ein Leben, das den tieferen Sinn, den Wert und Gottes Plan verstanden hat.
Wenn ich zum Beispiel eine Geschwindigkeitsbegrenzung einhalte, weil ich nicht geblitzt und kein Bußgeld zahlen will, handle ich richtig. Ich halte mich an die Vorschriften, auch wenn ich vielleicht lieber rasen würde und mich und mein Auto nur schwer zügeln kann. Wenn ich die Geschwindigkeitsbegrenzung aber einhalte, weil ich mich und andere nicht gefährden will, weil ich von Grund auf verstanden habe, dass diese Regel etwas Gutes
bewirken will, bin ich viel tiefer in die Gerechtigkeit, in das gute Leben und gelingende Zusammenleben vorgedrungen. Mir geht es oft so, dass mich die tiefere Gerechtigkeit, die Jesus fordert, nachdenken lässt – wie ich durch mein Verhalten mir und anderen das Leben nicht zur Hölle mache (vgl. Mt 5,22.29.30). Da habe ich noch ganz schön viel zu lernen und zu verändern in meinem Leben und an meinem Verhalten mir und anderen gegenüber.
Tiefere Ehrlichkeit mit mir selbst, mit meinen Mitmenschen und auch Gott gegenüber – das fordert Jesus: beieinander bleiben, zueinander stehen, einander helfen, auch wenn es in der Beziehung oder in der Ehe schwierig wird oder sich verlockende Gelegenheiten bieten; mich versöhnen und Frieden schaffen im Kleinen wie im Großen, in der Familie, mit dem Arbeitskollegen, zwischen Völkern und Nationen – darauf kommt es an – sonst ist meine Teilnahme am Gottesdienst nur oberflächliche Pflichterfüllung aber nicht aus der Tiefe meines Herzens gelebtes Evangelium; entschieden leben, statt mein Fähnchen nach dem Wind zu hängen: „Euer Ja sein ein Ja, euer Nein ein Nein“ (vgl. Mt 5,37), sagt Jesus. Oft ist es so, dass mein „Ja“ eben doch keines ist, und mein „Nein“ auch nicht. Wie viele Hintertüren halte ich mir oft offen bei Entscheidungen, und wie viele „Abers“, „Vielleichts“ und „Najas“ verbergen sich hinter meinem „Ja“ oder meinem „Nein“?
Die Worte Jesu gehen mir nach, gehen in die Tiefe meines Herzes. Dort graben sie sich ein und werden zum Schatz in meinem Leben und auch für andere, wenn ich aus diesen Worten mein Leben gestalte. AMEN.

PREDIGT 4. ADVENT (A)

Jes 7,10-14 + Mt 1,18-24

Advent – mit allen Sinnen: Hören und Sprechen – ohne Worte

Liebe Kinder, liebe Jugendliche, liebe Schwestern und Brüder! Ohne Worte – stand früher oft unter Bildern oder Geschichten, die selbsterklärend waren; das Besondere, die Pointe brauchte keine Erklärung. Ohne Worte – sprachlos; da fehlen Josef die Worte: Maria, seine Verlobte, ist schwanger … von einem anderen; er ist nicht der Vater des Kindes im Bauch von Maria. Ohne Worte – kein Wort hat sie ihm gesagt: kein wer, kein wie und kein warum, kein wozu. Josef vergehen Hören und Sehen, so verwirrt – und vielleicht auch enttäuscht – ist er. Ohne Worte – in aller Stille will sich Josef von Maria trennen. Ohne Worte – ohne Vorwürfe und ohne Anklage, ohne Verurteilung und ohne Streit. Josef will Maria nicht der Steinigung – das war damals die Strafe für Frauen (!) für Sex außerhalb und vor der Ehe – preisgeben, sondern sie freigeben für ihre Liebe und den Mann, den sie liebt. Ohne Worte – in den Evangelien spricht Josef kein einziges Wort. Ob ich auch so sprachlos wäre? Ob ich auch so ruhig bleiben könnte? Wir Menschen sprechen etwa 16.000 Worte an einem Tag – vielleicht wäre es ein Anschweigen aus Trotz oder Wut. Josef aber schweigt und schläft (vgl. Mt 1,24) und träumt – und er kann gut schlafen; es sind keine Albträume die er hat; ich an seiner Stelle hätte vermutlich kein Auge zugetan. Josef ist der Mann der Träume – immer wenn wichtige Entscheidungen anstehen, träumt er (vgl. Mt 1,20; 2,13.19.22). In der Ruhe des Schlafes und der Träume hört er Gottes Willen – alle anderen Sinne schlafen, doch Josef ist ganz Ohr. Er hört, dass er direkt angesprochen ist: „Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht“ (Mt 1,20). Er hört, dass er bei Maria bleiben soll: „Fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen“ (Mt 1,20). Und Josef hört das Ent-scheidende, etwas, das er noch nie gehört hat und das außerhalb seiner Vorstellungskraft liegt: Maria ist schwanger durch das Wirken des Heiligen Geistes – kein anderer Mann war im Spiel. Josef hört, dass sich an Maria die alte Verheißung (vgl. Jes 7,14) erfüllt: „Siehe: Die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben, das heißt übersetzt: Gott mit uns“ (Mt 1,23). Josef hört genau hin und genau zu – und er kann schließlich mit dem Herzen hören und sehen, vertrauen und glauben – aus Liebe und durch die Kraft des Heiligen Geistes. Ohne Worte nimmt Josef Maria und das uneheliche Kind zu sich und erweist sich so als Traummann. Diese Liebe braucht keine Worte, sondern nur ein hörendes und liebendes Herz. Schweigend und schweigsam, hörend und gehorsam hat Josef die eigenen Lebenspläne durchkreuzen lassen vom Mensch werdenden Gott. Josef glaubt mit hörendem Herzen, dass in dem Kind „Gott mit uns“ ist. Josef ist kein Träumer. Er hält weiterhin die Ohren offen für Gott und woran sein Herz glaubt. Ihn kann ich mir zum Vorbild nehmen für meine Handeln aus dem Glauben – Ohne Worte. AMEN.

PREDIGT 3. ADVENT (A)

Jes 35,1-6a.10 + Mt 11,2-11

Advent – mit allen Sinnen: Sehen – Blickwinkel

Liebe Kinder, liebe Jugendliche, liebe Schwestern und Brüder! Ich sehe was, was du nicht siehst – ein beliebtes Kinderspiel nicht nur um langweilige Autofahrten und Predigten zu überbrücken. Genau hinsehen auf die Realität und auch Details nicht übersehen ist dabei genauso wichtig wie Ehrlichkeit bei diesem Sehspiel, damit man nicht während dem Spiel den Begriff wechselt, sondern höchstens die Sichtweise der und auf die Dinge. Ich sehe was, was du nicht siehst: Ich sehe Jesus, aber ist er der Christus, der Messias, der da kommen soll und wird? Fragen, die Johannes umtreiben. Dabei hätte er es doch wissen müssen: Johannes der Täufer war ja bei der Taufe Jesu hautnah dabei und hat es mit eigenen Augen gesehen, wie der Geist Gottes wie eine Taube auf Jesus herabkam und eine Himmelsstimme zum Sehen einlädt; „Siehe, dieser ist mein lieber Sohn“ (Mt 3,17). Trotzdem hat Johannes Zweifel, ob Jesus wirklich der Messias ist, ob er bei Jesus nicht etwas übersehen oder völlig falsch gesehen hat. Jesus sagt nicht „Ich bin es!“. Er gibt nicht selbst die Antwort, sondern lädt zum Sehen ein, zum Hinsehen und Einsehen. Die Fragenden sollen sich selbst ein Bild vom Heilswirken Gottes in Jesus Christus machen; sie solle es mit eigenen Augen sehen, dass Jesus der verheißene Messias ist: „Berichtet Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen wieder und Lahme gehen; Aussätzige werden rein, und Taube hören; Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium verkündet“ (Mt 11,4-5). Wunder sehen, um zu glauben. Nicht nur die Jünger des Johannes lädt Jesus zum Sehen ein, sondern auch seine eigenen Jüngerinnen und Jünger und damit uns. Dreimal fragt Jesus sie direkt nach ihrer Sicht der Dinge: „Was habt ihr [denn] sehen wollen“ (Mt 11,7-9) – nur eine Bestätigung der eigenen voreingenommen, oberflächlichen Sichtweise? Johannes ist kein Edelmann, keiner, dem es auf Äußerlichkeiten wie schöner Kleidung, großzügiger Wohnung oder wohlhabendem Lebensstil ankommt; Johannes ist kein bedeutungsloses Schilfrohr im Wind, schon gar nicht einer, der seine Meinung dreht wie der Wind – als Sprachrohr Gottes hat Johannes eine wichtige und eindeutige Botschaft: Mit ihm, Johannes, endet die „alte Zeit“ – mit Jesus bricht die neue Zeit an. Zei-tenwende, können wir mit dem Wort des Jahres 2022 dafür sagen, das die Gesellschaft für deutsche Sprache vor wenigen Tagen bekanntgeben hat, ohne jedoch die ursprünglich christliche Bedeutung im Blick zu haben. Jesus lädt mich ein genau hinzusehen: Ich sehe was, was du nicht siehst. Er lädt mich ein, hinter den äußeren Schein blicken, tiefer und klarer zu sehen und die „kleinen Wunder“ zu entdecken, im Alltäglichen Gottes Wirken zu erahnen – und auch dort wo scheinbar Unmögliches möglich wird. „Seht, hier ist euer Gott“ (Jes 35,4). Ich nehme mir Zeit zum Sehen bei einem Spaziergang, bei dem sich meine Sicht weitet, oder beim Blick in die Kerzen des Adventskranzes, wo mein Blick konzentriert wird und nach innen führt – in allem kann ich Gott entdecken. Auf diese Einsicht kommt es an. AMEN

PREDIGT 2. ADVENT (A)

Jes 11,1-10 + Mt 3,1-12

Advent – mit allen Sinnen: Schmecken – Geschmack

Liebe Kinder, liebe Jugendliche, liebe Schwestern und Brüder!
Ein eigenartiges Menü wird uns heute aufgetischt: keine Plätzchen oder Lebkuchen, wie vielerorts im Advent üblich; nein, es ist das, was beim asketisch lebenden Johannes d. Täufer am Rand der Wüste auf den Tisch kommt: „Heuschrecken und wilder Honig“ (Mt 3,4). Kann man das etwa essen?
Bei wildem Honig stelle ich mir vor, dass er süß schmeckt, naturrein, aromatisch-wild. Da hätte ich höchstens Angst vor stechenden Bienen, die ihren Honig vor Räubern und Naschkatzen verteidigen werden.
2021 wurde die Europäische Wanderheuschrecke offiziell als neuartiges Lebensmittel zugelassen: Proteine, Ballaststoffe und gute Fette verleihen ihnen das Zeug zum Superfood; verkauft werden sie getrocknet, gemahlen oder als Proteinriegel. Es würde mich – wie bei einer Challenge beim Dschungelcamp – einige Überwindung kosten, Heuschrecken zu essen.
Eine ähnliche Herausforderung sind die Worte des Johannes – wahrlich keine leichte Kost, die Johannes den Menschen damals und uns heute vorsetzt. „Ihr Schlangenbrut“ (Mt 3,7) – schon bei den ersten Worten müssen wir schlucken. Johannes spricht vom schonungslosen Gericht: Jeder Mensch wird nach seinen Taten beurteilt, wie ein Baum nach seinen Früchten – gibt es keine, oder schmecken sie nicht, wird der Baum gefällt und ins Feuer geworfen; die Spreu wird vom Weizen getrennt (vgl. Mt 3,10-12).
Johannes redet nicht nach dem Geschmack der Leute – er redet ihnen nicht nach dem Mund. Er spricht eine klare Sprache, die zur Umkehr aufruft – das schmeckt nicht jedem: Ändert eurer Leben, kehrt um und bringt gute Früchte hervor! (vgl. Mt 3,8). Was genau zu ändern ist, lässt Johannes offen – an dieser offenen Frage muss ich mich abarbeiten, mich selbst prüfen, wo ich umkehren soll, welche Wege in meinem Leben und Glauben holprig oder gar Irrwege sind – daran habe ich ganz schön zu kauen und zu verdauen. Dem Herrn den Weg zu bereiten, darauf kommt es an; alles Unebene aus dem Weg zur räumen, damit Gott bei mir ankommen kann – das ist Advent.
Es gibt Hoffnung auch für scheinbar hoffnungslose Fälle: Ich kann den jungen Trieb aus der abgehackten Wurzel, von dem Jesaja spricht (vgl. Jes 11,1), auf Jesus Christus hin deuten: ER ist meine Hoffnung. Durch IHN gibt es auch Hoffnung für mein abgehacktes Leben – wo ich den Ansprüchen nicht genügt – wo mein Leben(smut) abgeschnitten ist – wo Einschnitte wie Tod, Krankheit, Scheidung, oder gravierende Probleme da sind. Der neue Trieb aus der Wurzel ist Hoffnung mich: Leben aus Gottes Kraft. In Taufe und Firmung ist mir diese Kraft, der Geist des Herrn, auf vielfältige Weise (vgl. Jes 11,2-3) geschenkt worden. Er wirkt in mir und will durch mich wirken; vieles wird möglich, was unmöglich scheint – die Vision des Jesaja vom großen Tierfrieden ist ein Bild dafür. Durch das Wirken des Geistes kann ich immer neu Geschmack am Leben und Glauben finden: Frieden und Zufriedenheit, Gerechtigkeit und eine Welt ohne Hunger – ja, ich müsste einiges ändern in meinem Leben, aber ein solches Leben würde mir schmecken.

PREDIGT 1. ADVENT (A)

Jes 2,1-5 + Mt 24,29-44 (LF)

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder, liebe Jugendliche!
Heute mit dem ersten Advent beginnt ein neues Kirchenjahr und auch eine Predigtreihe: Advent – mit allen Sinnen. Was nehme ich wahr mit meinen Sinnen in diesem Advent, in dieser Vorbereitungszeit auf Weihnachten? Es duftet nach Plätzchen und Stollen, viele haben schon Lebkuchen verkostet, letzte Woche habe ich im Radio schon zum ersten Mal Last Christmas gehört – reichlich früh, am Freitag bei der spirituellen Wanderung rund um Schwarzenbach habe ich die vielen Buden der Glühweinparty gesehen – da war es ganz still; keiner da – nur die Lichter haben schon gebrannt am Weihnachtbaum. Gestern Abend habe ich in aller Ruhe meinen Adventskranz geschmückt, die sanften Nadeln gespürt, den Tannenduft eingesogen und die erste Kerze entzündet – und ich war einfach da – ganz still.
Advent – mit allen Sinnen. Die biblischen Texte bieten ganz andere Sinneseindrücke: Unübersehbar und unüberhörbar ist die Wiederkunft des Men-schensohnes: totale Finsternis bei Tag und bei Nacht; vom Himmel fallende Sterne – kein Lichtblick mehr; laute Posaunen; die Wiederkunft des Herrn erschüttert alles; nichts bleibt wie es war – Erschütterung bis ins Mark. Wenn es soweit ist, gibt es keine Vorbereitungszeit mehr, kein Vertagen wie bei Klimakonferenzen, kein Verdrängen von privaten Problemen.
Wann wird es soweit sein? Wir wissen es nicht. Unerwartet und unvorbereitet wird diese Endzeit sicherlich Viele treffen. Viele interessiert sie auch nicht: Ich lebe jetzt! Was kommt, ist mir egal. Und doch treibt Angst und Schrecken vor der Zukunft Viele um: Klimakrise, Krieg, Energiekrise, Infla-tion. Das Evangelium des ersten Advents kann diese Ängste schüren und Panik verbreiten. Ich sehe darin aber vor allem eine „Frohe Botschaft“, was ja Evangelium übersetzt bedeutet – eine Ermutigung eine Aufforderung zum bewussten Leben: „Seid wachsam! […] Haltet euch bereit!“ (Mt 24,42.44).
Wenn heute der letzte Tag wäre…
Was würde ich tun? Was hätte jetzt oberste Priorität?
Was würde ich ändern in meinem Leben, an meinem Lebensstil?
Was wäre mir wirklich wichtig, um durch mein Tun am letzten Tag eine gute Zukunft vorzubereiten und im Jetzt zu gestalten?
Was hindert mich noch daran, mit anderen Menschen Lebenswege und Glaubenswege zu teilen?
Was hindert mich noch daran, aus meinen „Schwertern und Lanzen“ endlich „Winzermesser und Pflugscharen“ zu machen?
Advent – mit allen Sinnen. „Seid wachsam! […] Haltet euch bereit!“ (Mt 24,42.44). Schaut genau hin! Hört die entscheidenden Worte heraus aus dem Getöse und Gedudel! Vorbereitung heißt nicht „viel machen“, sondern sich selbst vorzubereiten und zur Ruhe zu kommen und so einen Weg zu Gott zu finden. Adventure – das englische Wort für Abenteuer – ist klanglich verwandt mit dem Advent. Wagen wir den Weg in das Abenteuer Advent: „Auf, wir wollen gehen im Licht des HERRN.“ (Jes 2,5). AMEN.

PREDIGT 32. SONNTAG Im JK (C)

2 Makk 7,1-2.7a.9-14 + Lk 20,27-38 (LF)

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder und Jugendliche!
Was für eine Frau! Sieben Männer hat sie überlebt. Sieben Männer sind an ihrer Seite gestorben. Kinderlos starb auch sie – ein Ehedrama, das mich traurig stimmt. Doch die Frau spielt nur den „Lockvogel“ in einem heimtückisch konstruierten Fall, um Jesus in eine Falle zu locken.
Die Sadduzäer hatten diese Falle aufgestellt, um Jesus und seine Botschaft von der Auferstehung zu Fall zu bringen; sie waren damals die führende Priestergruppe in Jerusalem und hatten die Deutungshoheit über die heilige Schrift, die Tora, die fünf Bücher Mose. Da dort von einer Auferstehung der Toten nichts zu lesen ist, lehnen sie diese ab. Den ersten biblischen Beleg für den Auferstehungsglauben aus dem Buch der Makkabäer aus den Spätschriften des Alten Testamentes – wir haben ihn vorhin in der Lesung gehört – akzeptieren sie nicht. Darüber streiten sie mit Jesus wie mit einem Gelehrten. Das Schicksal der Frau spielt dabei für sie keine Rolle.
Jesus hat die Falle erkannt und verweist auf Mose, den Garant der Tora. Er schlägt die Sadduzäer mit ihren eigenen Waffen, mit Schriftbeweisen für die Auferstehung aus dem Alten Testament: Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs – die längst gestorben sind – ist kein Gott von Toten, sondern von Lebenden (vgl. Lk 20,37f). Also muss es die Auferstehung der Toten geben – auch wenn sie jede menschliche Vorstellung davon übersteigt.
Ein Rechtsstreit; alles graue Theorie, aber: Was würde Jesus zu der Frau mit den sieben Männern sagen? Ist sie eine „Femme fatale“?
Gemäß der Tora sollte der Bruder eines kinderlos verstorbenen Mannes die Witwe seines Bruders heiraten (vgl. v.a. Dtn 25,5-6). So sollte die Frau vor dem sozialen Absturz bewahrt werden. Diese Praxis macht deutlich, dass Ehe damals vor allem eine soziale Einrichtung, eine Art „Lebensversicherung“ und keine Liebesheirat war. Erst seit der Neuzeit kommen Liebe und Ehe zusammen. Menschen zurzeit Jesu haben anders empfunden und part-nerschaftliche Liebe spielte damals nicht die Rolle, die sie heute spielt.
Mit heutigen Augen sehen wir die Frau als Opfer ihrer Zeit, weil sie nicht selbstbestimmt leben konnte, sondern immer einen Mann an ihrer Seite brauchte, um abgesichert zu sein. Viele Menschen erleben heute die Kehrseite als unfreiwillige Singles, die gerne eine Partnerin oder einen Partner fürs Leben hätten und nicht nur unverbindlichen Sex via Dating-Hotline. Wer keinen Partner oder keine Partnerin findet, oder wer eine Trennung durchleidet und allein zurückbleibt, ist oft Opfer der Liebe und Lieblosigkeit. Daher lohnt es zu fragen, was das Evangelium für uns heute bedeutet.
Jesus sagt deutlich: Nur in dieser Welt heiraten die Menschen. Die aber, die Gott für würdig hält, an jener Welt und an der Auferstehung von den Toten teilzuhaben, werden dann nicht mehr heiraten (vgl. Lk 20,34f). An Jesu Worten wird eines deutlich: Im Himmel braucht es keine sozialen Sicherungssysteme – irdische Absicherungen werden überflüssig.
Das neuzeitliche Verständnis einer partnerschaftlichen Ehe aus Liebe kannte Jesus noch nicht. Daher gibt er im Evangelium auch keine direkte Antwort auf die Frage, was im Himmel aus der Liebe zu einem Partner wird. Jesus gebraucht ein Bild, um das im-Himmel-Sein zu beschreiben: „den Engeln gleich“ werden sie „Kinder Gottes“ (Lk 20,36) sein.
Hier kommt das Neue der Auferstehung in den Blick: Kind Gottes zu sein, zärtlich umhüllt und erfüllt von Gottes Liebe. Wir sind es, die Gott liebt. Wir sind seine geliebten Kinder. Wir sind es, die Gottes Leben und Liebe in uns tragen, schon jetzt in diesem Leben. Manchmal scheint Gottes Liebe in unserem Leben durch – der Trausegen bei der Hochzeit fasst das in die Worte: Wo Mann und Frau in Liebe zueinander stehen und füreinander sorgen, einander ertragen und verzeihen, wird Gottes Liebe zu uns sichtbar. Wie kann da die Liebe, die ganz zum irdischen Leben gehört, im Himmel bedeutungslos und nichtig sein?
Sie wird anders sein – größer – und für alle reichen: Die Liebe Gottes wird uns alle erfüllen. So wird die Liebe, die Menschen hier auf Erden bruchstückhaft miteinander verbindet, dort zu großen verbindenden Kraft werden – in Liebe verbunden mit Gott durch Jesus Christus und in Liebe verbunden als Schwestern und Brüder untereinander. Diese Liebe ist nicht mehr an die Ehe gebunden – keine und keiner ist ausgeschlossen. Jeder ist liebenswert und liebenswürdig. Die Liebe Gottes gilt allen, auch und gerade denen, die auf Erden nicht das Liebesglück erfahren durften, dass sie sich erhofften. „Er ist doch kein Gott von Toten, sondern von Lebenden; denn für ihn leben sie alle“ (Lk 20,38). AMEN.

PREDIGT 30. SONNTAG Im JK (C)

Sir 35,15b-17.20-22a + Lk 18,9-14

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder und Jugendliche!
Sonntag der Weltmission, was geht er uns an? Können wir nicht einfach gemeinsam Gottesdienst feiern?
Genau das tun wir als katholische Kirche am Weltmissionssonntag – wir feiern Gottesdienst und zwar ganz katholisch im wörtlichen Sinn, weltumspannend. Wir feiern Gottesdienst nicht nur als Pfarrgemeinde von XY, nicht nur als materiell reiche Kirche von Deutschland, sondern als weltweite Kirche und deshalb auch mit Christinnen und Christen in armen aber glaubensreichen Ländern dieser einen Welt. In dieser einen Weltkirche prallen sie aufeinander die Gegensätze, wie die beiden Beter im heutigen Evangelium: die reiche, selbstgenügsame uns selbstgefällige Kirche, die um sich selbst kreist, und die arme, verbeulte Kirche, die Zeichen setzt.
Dem Anschein nach ist der Kirchgänger und die Kirche, die mehr hat, als sie zum Leben braucht, die ihre schöne Fassade inszeniert und sich und ihre Frömmigkeit zur Schau stellt, die von sich Reden macht und „Erfolge“ vorweisen kann, klar begünstigt: aber macht das unseren Glauben aus? Wörtlich gesehen schon: Da geht uns der Glaube verloren, denn diese Äußerlichkeiten bewirken nicht ein mehr an Glauben – im Gegenteil sie bewirken ein weniger an Glaubwürdigkeit. Da nützen alles Geld, aller frommer Aktionismus und alle Selbstgerechtigkeit nichts. Auf das Herz kommt es an, darauf sich an die eigene Brust zu schlagen und sich ein Herz zu nehmen, eigene Grenzen und Fehler zu erkennen und von Herzen das Mögliche zu tun.
Der Sonntag der Weltmission 2022 steht unter dem Motto: „Ihr werdet meine Zeugen sein“ (Apg 1,8). Wer ist dieses „ihr“, von dem der Auferstandene spricht? Ordensleute, Priester, Bischöfe? Die anderen, ich jedenfalls nicht? Die Jüngerinnen und Jünger, letztlich alle, die mit Heiligem Geist getauft wurden, sind angesprochen, denn wenige Verse vor dem diesjährigen Weltmissionssonntags-Motto heißt es: „Johannes hat mit Wasser getauft, ihr aber werdet schon in wenigen Tagen mit dem Heiligen Geist getauft wer-den. […] Ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde“ (Apg 1,5.8).
Wir alle sind vom Auferstandenen beauftragt und gesendet – als Männer und Frauen sind wir die Apostel von heute. Wir alle haben die Mission durch die je eigenen Talente und Fähigkeiten den Glauben zu leben und zu verkünden. Jede Christin und jeder Christ ist eine Mission, aber nicht auf sich allein gestellt: Die Bezeugung des Evangeliums ist weder ein Einzelauftrag noch eine Einzelleistung, sondern Aufgabe und Auftrag für die ganze Gemeinschaft – nicht nur hier vor Ort, sondern weltweit und damit katholisch. Jede(r) soll auf seine/ihr Weise mit Herz, Mund und Hand Zeugnis von Jesus Christus geben und seine/ihre Berufung und den Glauben leben.
Vor 200 Jahren gründete die junge Pauline Jaricot, eine Laiin aus Lyon – sie wurde am 22. Mai 2022 seliggesprochen –, das „Werk der Glaubensverbreitung“. Sie erkannte die Notwendigkeit, alle „Missionen“, wie man damals sagte, zu unterstützen. Heute sind es die Ortskirchen weltweit, die im Aufbau sind und unsere Hilfe brauchen. Mit einem einfachen und genialen System machte sie das Engagement für die Weltkirche allen Bevölkerungsschichten zugänglich und verständlich. Es brauche nicht viel: „Täglich ein Gebet und wöchentlich einen Sou, eine kleine Münze“. Letztlich brauche es ein Herz für Gott und die Menschen. Dies war die Geburtsstunde von MISSIO.
Braucht nicht gerade unsere Zeit einfache und authentische Zeug(inn)en der Frohbotschaft, statt selbstgefälliger Redenschwinger? Was bedeutet es für mich, Zeugin oder Zeuge der Frohbotschaft Jesu zu sein? Wie bin ich Zeugin oder Zeuge bis an die Grenzen der Welt bzw. meiner Lebenswelt?
Rede und Antwort zu stehen von dem, was mich im Innersten erfüllt, mitzuteilen, was mich an Jesus und am Evangelium fasziniert, was meine Hoffnung ist und wo mich der Glaube trägt, wofür mein Herz schlägt (vgl. 1 Petr 3,15). Einfach und echt soll ich vor Gott und vor anderen sein – das ist das beste Zeugnis meines Glaubens: „Ihr werdet meine Zeugen sein“ (Apg 1,8). Gefragt und gesucht sind Zeugen – Frauen und Männer, die überzeugen, weil sie überzeugt sind von dem, was sie sagen und was sie glauben.
Gefragt und gesucht sind Zeugen – Menschen, die das ausstrahlen und verkörpern, wovon sie von Herzen reden, die einfach glaubwürdig sind.
Gefragt und gesucht sind Zeugen – konkrete Personen, die Zeugnis geben vom dreifaltigen Gott, an dem wir durch die eine Taufe Anteil haben:
Zeugnis von Gott, der zu uns steht; der uns auffängt, wenn wir fallen;
Zeugnis von Jesus Christus, der uns nahe ist im Wort und Sakrament;
Zeugnis von Gottes Geist, der uns belebt, damit wir handeln.
„Ihr werdet meine Zeugen sein“ – gefragt und gesucht sind Sie und ich – gefragt und gesucht sind wir alle. AMEN.