PREDIGT KARFREITAG

Jes 52,13-53,12 + Hebr 4,14-16; 5,7-9 + Joh 18,1-19,42

Liebe Schwestern und Brüder! Liebe Kinder und Jugendliche!
Mittendrin, statt nur dabei – so könnte man das live-Projekt „die Passion“ umschreiben, das RTL am Mittwoch gewagt hat, um die Passion Christi ins Heute zu übertragen: Mittendrin, statt nur dabei. Dieser Satz vermittelte beim Zuschauer das Gefühl, eben nicht passiv im Fernsehsessel zu sitzen, sondern das Geschehen von damals mitzuerleben, hautnah dabei zu sein.
Mittendrin, statt nur dabei – so haben wir die Passion, die Leidensgeschichte von Jesus heute erlebt. Wir saßen nicht passiv und teilnahmslos auf unseren Hockern und in den Kirchenbänken – nein, wir waren Teil des Geschehens, einige von uns hatten eine Rolle, hatten was zu sagen, als Petrus, als Soldat, als Magd, als Hohepriester. Sie waren mittendrin. Einige sind hochgeschreckt, als plötzlich jemand neben ihnen zu schreien begann, oder als die lauten Rufe Kreuzige ihn aus ihrer Mitte kamen.
Mittendrin können wir besser nachspüren, was die Personen der Passion bewegt hat, wie sie fühlen, wie sie leiden, wie sie andere verurteilen. Die Figuren der Passion sind ein Teil von mir: auch in mir steckt ein Petrus. Ich möchte meinem Namen wirklich alle Ehre machen und ein Petrus sein, ein Fels möchte ich sein – Petrus bedeutet übersetzt Fels – ein Fels in der Brandung, ein Mensch auf den man sich absolut verlas-sen kann, dem man vertrauen kann, der Halt und Sicherheit bietet. Dieses Wunschbild von Petrus zerbricht in der Passion: Mutig greift er zum Schwert … und ich erlebe den dreimaligen Verrat, das Nein des Petrus hautnah. Starke und schwache Momente, mutiges Bekennen und furchtsames Schweigen und Verleugnen liegen nah beieinander. Mittendrin, statt nur dabei frage ich mich: wo habe ich vor Angst geschwiegen, wo hätte ich für Benachteiligte und Schwache eintreten müssen?
Auch in mir steckt Pontius Pilatus oder ein Hohepriester: ich habe Macht über andere Menschen, in der Familie, im Dorf/in der Stadt, in der Schule, am Arbeitsplatz – auch ich bin ein Machtmensch, ob ich will oder nicht. Ich habe die Macht, andere Menschen durch meine Worte zu verurteilen – es ist die Macht der Worte, die oft verletzender und tödlicher sein kann als meine Taten. Mittendrin, statt nur dabei wird mir bewusst, dass es an mir liegt, ob ich mit meinen Worten richte oder aufrichte. Es liegt an mir, ob ich alles tue, was in meiner Macht steht, oder ob ich mir angesichts fremden Leids und des Unfriedens in der Welt meine Hände in Unschuld wasche: es betrifft mich ja nicht, da bin ich fein raus – wirklich?!
Haben Sie auch zwei Personen vermisst? Simon von Zyrene und Veronika. Sie haben in der Johannespassion keine Stimme, ja sie kommen nicht einmal als Statisten vor – in den anderen Evangelien ist zumindest von Simon von Zyrene die Rede. Er, der ackert und rackert, damit seine Felder ausreichend Ertrag bringen, er wurde mit hineingezogen: Er hat den Kreuzesbalken nicht ganz freiwillig getragen – und trotzdem hilft er Jesus tragen, der sich blutend und am Ende seiner Kräfte zur Kreuzigung schleppt. Mittendrin, statt nur dabei sehe ich Aufgaben, in die ich hineingezogen werde. Ich frage mich: Schotte ich mich gegen das Leid anderer ab? Bin ich bereit, Menschen in Not im Rahmen meiner Möglichkeiten zu helfen?
Veronika kommt in keiner Passionserzählung vor. Menschen haben sie trotzdem bewusst in den Kreuzweg hineingemalt und ihr eine Kreuzwegstation gewidmet, weil ihnen etwas fehlte: Frauen, die mit Jesus unterwegs waren, die seine Botschaft der Liebe geteilt haben. Frauen, die gelebte Nächstenliebe, wie Jesus sie vorgelebt hat, in die Tat umsetzen. Frauen, die leider auch in der Kirche oft am Rand stehen oder ein Schattendasein führen. Der Name Veronika ist Programm. Er besteht aus dem lateinischen vera und dem griechischen eikona – vera eikona, wahres Angesicht. Durch mich und mein Tun soll die Botschaft Jesu ein menschliches Gesicht bekommen. Mittendrin, statt nur dabei, spüre ich meine Aufgabe der gelebten Caritas. Spüre ich wirklich, dass gelebte Nächstenliebe nicht nur Frauensache ist?
Wie oft im Leben bin ich einer aus dem Volk oder ein Soldat, der andere Menschen einfach fallen lässt, der ihnen nicht aufhilft und sich schadenfroh am Unglück anderer ergötzt? Wie oft stelle ich andere durch üble Nachreden bloß und lasse nichts Gutes an ihnen? Wie oft lege ich Menschen durch mein Tun aufs Kreuz? Wie oft nagle ich andere fest auf Gesagtes oder Getanes? Wie oft bin ich da mittendrin, statt nur dabei?
Maria und Johannes, zwei Menschen unter dem Kreuz. Anderen ist diese Belastung zuviel. Sie stehen abseits, in sicherem Abstand. Sie wollen Kreuz und Leid nicht zu nah an sich heranlassen. Auch Menschen heute haben Leid und Tod zu ertragen in der eigenen Familie, im Freundeskreis, im Krieg und auf der Flucht. Auch auf ihnen lastet das Kreuz. Sie kommen nicht los davon. Sie leiden mit und erleiden tief im Inneren den Verlust von geliebten Menschen oder von Lebensqualität. Es ist fast nicht auszuhalten. Mittendrin, statt nur dabei frage ich mich: Halte ich es bei nahestehenden Menschen aus, auch wenn schwere Stunden anbrechen?
Josef von Arimathäa, der Jünger, der heimlich und aus Furcht vor den Juden auf das Anbrechen des Gottesreiches wartete. Der dann doch aus der Heimlichkeit heraus in die Öffentlichkeit trat und Pilatus um den Leichnam Jesu bat. Der Jesus nicht tot am Kreuz hängen ließ, sondern ihm sein Grab überließ. Mittendrin, statt nur dabei sehe ich mich und meinen Glauben: Bin ich bereit, ihn öffentlich zu leben? Bin ich bereit, dafür auch Nachteile in Kauf zu nehmen, oder meinen Besitz zu teilen?
Mittendrin, statt nur dabei – die Passion Jesu, sein Kreuzweg, sein Tod am Kreuz und seine Grablegung haben mit mir und meinem Leben zu tun: Ich war heute mittendrin, statt nur dabei – ich konnte mich und mein Handeln hinterfragen. Ich gehe weiter auf meinem Lebensweg, der sich immer wieder mit dem Kreuzweg Jesu kreuzt – nicht nur heute: Er, Jesus Christus, ist in meinem Leben – mittendrin, statt nur dabei. AMEN.