PREDIGT 6. SONNTAG IM JK (A)
Sir 15,15-20 + Mt 5,17-37 (Langfassung)
Liebe Schwestern und Brüder, liebe Jugendliche!
Ich habe einen Traum, der mich seit Kindertagen begleitet – keinen der mir nachts den Schlaf raubt, sondern einen, der immer wieder mal hoch- und mir in den Sinn kommt; ein Traum, der mich fasziniert: einmal bei einer archäologischen Grabung dabei sein zu können…; behutsam immer tiefer zu graben…, dem Erdreich ein Geheimnis entlocken… und einen wertvollen Fund zu machen… – bei der Ausgrabung und Entdeckung von Pharaonen-gräbern wäre ich gerne dabei gewesen… . Mein Traum ist ein Traum ge-blieben und noch nicht Wirklichkeit geworden. Aber Träume darf man ja haben, oder? Das feinfühlige Graben und Suchen, das immer tiefere Hineinkommen in einen Text, der sich oberflächlich ganz anders liest, das ist es, was mich an biblischen Texten fasziniert: Entdecker sein, Schatzsucher.
Die heutigen Worte der Bergpredigt sind für mich eine Herausforderung. Wie oft ist mein Leben das genaue Gegenteil von dem, was Jesus in klaren Worten fordert. Ertappt: Da habe ich schon wieder ganz anders gehandelt. Da bin ich ganz weit weg vom Ideal, das Jesus predigt. Da komme ich gedanklich schon in die Versuchung, es gleich sein zu lassen: „Ich schaffe es ja doch nicht, also muss ich es erst gar nicht probieren.“ Der Anspruch Jesu ist mir zu hoch – weit über meiner menschlichen Lebenswirklichkeit.
Ich will hinter die Oberfläche der Worte Jesu schauen – will in die Tiefe gehen und entdecken, was an Wertvollem in ihnen steckt – und was sie mir für mein Leben zu sagen haben.
Jesu Worte fordern mich auf zu größerer Tiefe – zu einer tieferliegenden, ja grundlegenden Gerechtigkeit: „Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und der Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen“ (Mt 5,20). Ich soll tiefer gehen als die Experten der Heiligen Schrift, tiefer gehen als die, die alle Gebote und Verbote kennen – und denen das Halten dieser Vorschriften wichtig ist. Obwohl sie jeden Buchstaben des Gesetzes erfüllen, bleibt ihr Tun oft an der Oberfläche, weil sie tief im Herzen ganz anders denken und auch handeln würden.
Jesus kommt es auf das Herz an – auf meine innere Haltung. Gerechtigkeit, diese Haltung soll in meines Herzens Grunde sein. Gerechtigkeit steht in der Bibel oft für „ein rechtschaffenes Leben“ – ein Leben nach Gottes Vorstellung – ein Leben, das nicht nur oberflächlich alle Gebote einhält, sondern ein Leben, das den tieferen Sinn, den Wert und Gottes Plan verstanden hat.
Wenn ich zum Beispiel eine Geschwindigkeitsbegrenzung einhalte, weil ich nicht geblitzt und kein Bußgeld zahlen will, handle ich richtig. Ich halte mich an die Vorschriften, auch wenn ich vielleicht lieber rasen würde und mich und mein Auto nur schwer zügeln kann. Wenn ich die Geschwindigkeitsbegrenzung aber einhalte, weil ich mich und andere nicht gefährden will, weil ich von Grund auf verstanden habe, dass diese Regel etwas Gutes
bewirken will, bin ich viel tiefer in die Gerechtigkeit, in das gute Leben und gelingende Zusammenleben vorgedrungen. Mir geht es oft so, dass mich die tiefere Gerechtigkeit, die Jesus fordert, nachdenken lässt – wie ich durch mein Verhalten mir und anderen das Leben nicht zur Hölle mache (vgl. Mt 5,22.29.30). Da habe ich noch ganz schön viel zu lernen und zu verändern in meinem Leben und an meinem Verhalten mir und anderen gegenüber.
Tiefere Ehrlichkeit mit mir selbst, mit meinen Mitmenschen und auch Gott gegenüber – das fordert Jesus: beieinander bleiben, zueinander stehen, einander helfen, auch wenn es in der Beziehung oder in der Ehe schwierig wird oder sich verlockende Gelegenheiten bieten; mich versöhnen und Frieden schaffen im Kleinen wie im Großen, in der Familie, mit dem Arbeitskollegen, zwischen Völkern und Nationen – darauf kommt es an – sonst ist meine Teilnahme am Gottesdienst nur oberflächliche Pflichterfüllung aber nicht aus der Tiefe meines Herzens gelebtes Evangelium; entschieden leben, statt mein Fähnchen nach dem Wind zu hängen: „Euer Ja sein ein Ja, euer Nein ein Nein“ (vgl. Mt 5,37), sagt Jesus. Oft ist es so, dass mein „Ja“ eben doch keines ist, und mein „Nein“ auch nicht. Wie viele Hintertüren halte ich mir oft offen bei Entscheidungen, und wie viele „Abers“, „Vielleichts“ und „Najas“ verbergen sich hinter meinem „Ja“ oder meinem „Nein“?
Die Worte Jesu gehen mir nach, gehen in die Tiefe meines Herzes. Dort graben sie sich ein und werden zum Schatz in meinem Leben und auch für andere, wenn ich aus diesen Worten mein Leben gestalte. AMEN.