01/2/22

PREDIGT 2. SO NACH WEIHNACHTEN (C)

Eph 1,3-6.15-18 + Joh 1,1-5.9-14

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder und Jugendliche!

Wir feiern an Weihnachten, dass Gott Mensch wird und es braucht Zeit, das zu begreifen: der große Gott macht sich klein, wird ein Kind, fängt an wie wir als hilfloses Neugeborenes. Johannes schreibt anders: Gottes Wort wird Fleisch, geht in Fleisch und Blut über und hat unter den Menschen gewohnt. Zum dritten Mal hören wir die Worte des Johannesprologs: Am ersten Weihnachtsfeiertag war er als Evangelium dran, ebenso an Silvester und auch heute am 2. Sonntag nach Weihnachten. Der Johannesprolog (Joh 1,1-18 bzw. Joh 1,1-5.9-14) fasst nicht nur die Menschwerdung Gottes in Worte, sondern auch die „Gottwerdung“ des Men-schen – nicht auf die Weise, dass wir Menschen „vergöttern“, sie „in den Himmel heben“ wie Pop- der Fußballstars, oder Models und Idolen nacheifern – auch nicht auf die Weise, dass wir uns „zu Gott machen“ – dieser Versuchung das eigene Ich absolut setzten und zu „Gott“ zu erklären, erliegen viele: Ich habe die Macht. Mein Wille zählt. Ich will meine Freiheit. Weihnachten und Menschwerdung ist anders: das Du ist entscheidend. Dass Gott Mensch wird, zeigt, dass er uns Menschen ernst- und annimmt und uns anspricht im Schrei eines Neugeborenen: Ich liebe dich, Mensch, als meinen Bruder / meine Schwester, als Mitmensch. Dieses menschgewordene Wort Gottes will eine Antwort – meine Antwort. Ich soll darauf antworten, ob ich mit dem menschlichen Gott in Beziehung treten will – nicht oberflächlich oder auf einen unverbindlichen Kontakt angelegt, sondern dauerhaft.

„Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind.“
(Joh 1,12-13)

Gott schenkt Macht – Gott gibt von seiner Macht ab.
Wir Menschen definieren Macht als Fähigkeit oder Möglichkeit etwas zu tun. Viele beziehen das auf den zwischenmenschlichen Bereich: ich will Macht ausüben; ich will jemanden beherrschen. Wenn Menschen so in Be-ziehungen oder auf die Suche nach einem Partner gehen, dann klappt es nicht – denn mit Liebe hat eine derartige Beziehung, Partnerschaft und Ehe nichts zu tun. Wer den menschgewordenen Gott aufnimmt, erhält eine Macht – nicht die Liebe zur Macht, sondern die Macht der Liebe.
Diese Macht der Liebe setzt nicht ihren Willen durch – schon gar nicht mit Gewalt oder Drohung. Es geht nicht darum, andere dem eigenen Willen und Wollen zu unterwerfen, sondern frei zu werden und zu sein – aus Liebe. Aus freien Stücken und ohne Hintergedanken Ja zueinander sagen und auch Ja zu Gott, das ist es. Sie kommen hoffentlich nicht zum Gottesdienst, weil sie müssen, oder weil Sie glauben, mir damit einen Gefallen zu tun. Nein, hoffentlich kommen Sie zum Gottesdienst in aller Freiheit und aus Liebe zu Gott – eine Liebesbeziehung, die gepflegt und gelebt werden will.
Gott lädt uns dazu ein, wieder neu zu entdecken, dass wir in der Taufe „aus Gott geboren“ sind. Das hat Konsequenzen: Wir dürfen und sollen als Kin-der Gottes leben. Wir können an Gott und an die in Jesus Christus mensch-gewordene Liebe Gottes glauben. Genau das meint „Gottwerden“: Hinein-genommensein in diese Liebe Gottes, die mir in Fleisch und Blut übergehen und in mir Mensch werden will, damit ich menschlicher und mitmenschli-cher werde durch Gottes Liebe. Mach’s wie Gott: Werde Mensch. AMEN.

12/5/21

PREDIGT 2. ADVENT (C)

Bar 5,1-9 + Lk 3,1-6

Im neunten Jahr des Pontifikat des Franziskus, Ursula von der Leyen ist Präsidentin der Europäischen Kommission, der große Zapfenstreich für Angela Merkel ist vollzogen und Olaf Scholz noch nicht zum Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt, mitten im zweiten Corona-Winter – dann passiert es, dann fängt Neues an: die Geschichte Gottes mit den Menschen. Heilsgeschichte in der Menschheitsgeschichte, mitten in im Alltag.
Durch die politischen Herrscher und religiösen Machthaber seiner Zeit legt der Evangelist Lukas legt den Beginn der Heilsgeschichte, des Advents, der Ankunft von Jesus Christus fest: Er nennt Kaiser Tiberius, Pontius Pilatus, Herodes, dessen Bruder Philippus und Lysanias sowie die Hohepriester Hannas und Kajaphas (vgl. Lk 3,1-2). Zu ihrer Zeit bricht das Neue an – aber nicht durch sie und mit ihnen. Sie hätten das System nicht geändert, alles bliebe beim Alten. Fernab von ihren Machtzentren, fernab von Lärm und Getöse, fernab von Geschäftigkeit und Kommerz wird dieses Neue angekündigt – in der Wüste, dort, wo scheinbar nichts ist, dort, wo Totenstille herrscht, dort, wo scheinbar niemand den Ruf hört.
Gott rechnet scheinbar damit, dass der Rufer in der Wüste nicht vergebens ruft; dass sein Ruf nicht ungehört verhallt; dass Menschen ausbrechen aus ihrem Alltagstrott; dass sie „in die Wüste“ gehen, in die Stille, um Gottes Rufer Johannes zu hören: „Bereitet den Weg des Herrn! Macht gerade seine Straßen! Jede Schlucht soll aufgefüllt und jeder Berg und Hügel abgetragen werden. Was krumm ist, soll gerade, was uneben ist, soll zum ebenen Weg werden. Und alle Menschen werden das Heil Gottes schauen“ (Lk 3,4-6). Mitten hinein in die Krisen der damaligen Zeit ist diese Heilsansage gesprochen. Eine gute Zukunft ist angesagt, wenn Menschen sich (vor-)bereiten und dem Herrn den Weg bereiten.
Wenn wir glauben, dass das Evangelium, die Frohe Botschaft nicht nur etwas mit vergangenen Zeiten, sondern auch mit uns und unserer Zeit zu tun hat; wenn die Worte von Gottes Rufer Johannes auch uns gelten, dann ist auch uns eine gute Zukunft verheißen, wenn wir bereit sind, Gott die Wege zu bereiten, dass er bei uns ankommen kann. Zeiten der Stille, „Wüstentage“ ohne Lärm und Geschäftigkeit, ohne nervende SMS- und Whatsapp-Nachrichten lassen zur Ruhe kommen und die leisen Töne hören: das, was sonst nicht zur Sprache kommt – Gottes leise und zärtliche Stimme.
Gott will bei mir ankommen – und ich kann bei Gott ankommen: Er erwartet mich sehnsuchtsvoll und voll festlicher Vorfreude wie Jerusalem die Menschen erwarten soll, die aus dem Exil heimkehren (vgl. Bar 5,1-5). „Gott bringt sie heim zu dir“ (Bar 5,6), schreibt Baruch: Gott (!) ebnet den Weg und spendet Schatten (vgl. Bar 5,7-8). Er bereitet und erleichtert (auch mir) den Weg, damit ich bei ihm ankommen kann. Gott wartet auf mich. Er geht auf mich zu. Er macht meinen Weg kürzer und einfacher. Gott führt und geleitet mich auf diesem Weg. Aufbrechen aus meinem Alltag, mich auf den Weg machen, um ihm zu begegnen, muss ich selber. AMEN.

11/2/21

PREDIGT 31. So. i. JK (B)

Dtn 6, 2–6

VvvLiebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder, liebe Jugendliche!
Worte auf ein Herz geschrieben: ich liebe dich – einfach geht das in Papier- form als Liebesbrief, oder als Liebeserklärung in Zuckerguss auf einem Lebkuchenherz. Ich liebe dich – liebe Worte und Liebesworte, die von Herzen kommen und zu Herzen gehen sollen – von Herz zu Herz.
Nimm dir das zu Herzen – beherzige dies! Immer wenn meine Eltern, dies zu mir sagten, wusste ich es geht um etwas Wichtiges: wertvolle Ratschläge zu gelingendem Leben. Grüße die Leute, wenn du ihnen be- gegnest, auch wenn du sie nicht kennst! Sei hilfsbereit und freundlich! Sag Danke und Bitte! Als Kind und Jugendlicher habe ich solche Rat- schläge oft nicht verstanden. Ich sah darin mich einschränkende Regeln oder nervige, maßregelnde Gebote. Die Fürsorge meiner Eltern um mich und ihre Liebe zu mir, die sah ich oft nicht. Heute sieht das anders aus. Heute bin ich froh, dass ich damals auf meine Eltern gehört und mir ihre Worte zu Herzen genommen habe. Ich habe ihre Worte verinnerlicht, sie auf mein Herz geschrieben, learned by heart wie der Engländer sagt.
Learn it by heart – lerne es mit dem Herzen, nimm es dir zu Herzen: Die- se Worte, auf die ich dich heute verpflichte, sollen auf deinem Herzen ge- schrieben stehen. (Dtn 6,6) Dazu fordert Mose als Sprachrohr Gottes die
Israeliten auf. Deshalb sollst du hören, Israel, und sollst darauf achten, [alles, was der HERR, unser Gott, mir gesagt hat,] zu halten, damit es dir gut geht (Dtn 6,3*). Die Worte, die sich das Volk Gottes zu Herzen neh- men soll, gehören zum Wichtigsten, was das Judentum besitzt. Es ist das wichtigste Gebet, das sie haben. Es ist das jüdische Glaubensbekenntnis, das in keinem ihrer Gottesdienste fehlen darf, das Schema Israel:
Höre, Israel! Der HERR, unser Gott, der HERR ist einzig. Darum, weil Gott so einzigartig ist, sollt du den HERRN, deinen Gott, lieben mit gan- zem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft. (Dtn 6,4-5) Für gläu- bige Juden ist dieses Gebet die Herzmitte ihres Glaubens. Schon Kinder lernen diese Worte auswendig – also by heart, mit dem Herzen.
Zum Gebet binden sich die Männer die Worte des Schema Israel vor die Stirn und an ihren Unterarm; so sind sie dem Verstand und dem Herzen ganz nah. Diese Worte sollen bedacht und im Leben beherzigt werden; sie sollen Denken und Tun durch und durch prägen: Liebesbeziehung zu Gott – Hingabe im Gebet und im gelebten Alltag – Liebe mit ganzem, ungeteiltem Herzen. Diese Worte sind auch in kleinen Kapseln an den Türen bzw. an den Türpfosten jüdischer Häuser angebracht, werden beim Verlassen des Hauses und beim Heimkommen durch einen Kuss verehrt. Ein Kuss sagt mehr als tausend Worte, er zeigt an, für wen mein Herz schlägt. Beim Gottesdienst küsst der Priester den Altar und das
Lektionar/Evangeliar – nicht weil er in den Altar oder das Buch verliebt ist – sondern, weil er das Wort Gottes herzt, weil er Jesus Christus, den der Alter symbolisiert, liebt und wertschätzt. Das Wort Gottes und Jesus Christus wollen unser Leben als Christinnen und Christen mit Liebe immer wieder neu prägen, reformieren (= wieder in Form bringen).
Jesus richtet im heutigen Evangelium den Blick des Schriftgelehrten und meinen Blick auf das wichtige Gebet und Gebot, das Schema Israel. Jesus Christus, hineingeboren in eine jüdische Familie, war gläubiger Jude ein Leben lang. Auch für ihn war das Schema Israel ein Herzensanliegen. Er schenkt es auch uns Christen als erstes und wichtigstes Gebot: Höre Isra- el, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit deinem gan- zen Denken und mit deiner ganzen Kraft. (Mk 12,29-30) Aber das ist nicht alles. Für Jesus ist wichtig, dass alle meine Beziehungen von Liebe ge- prägt sind: meine Beziehung zu Gott – meine Beziehung zu den Nächs- ten, den Mitmenschen und Mitgeschöpfen – und meine Beziehung zu mir selbst, dass ich mich annehmen und lieben kann mit meinen Fehlern, Ecken und Kanten. Wenn alle drei Beziehungen in Balance sind, wenn sie mir am Herzen liegen, dann gibt es keine Einseitigkeiten und Schieflagen. Dann kreise ich nicht um sich selbst. Sondern: Mein Herz öffnet sich für meine Mitmenschen, für ihre Sorgen, Anliegen und Nöte, die ich in Liebe mittragen kann, und die ich manchmal auch in Liebe ertragen muss – und
mein Herz öffnet sich für den mich liebenden Gott, den ich im Nächsten entdecken und lieben kann. Wenn ich das beherzige, dann gilt mir das
Wort Jesu: Du bist nicht fern vom Reich Gottes (Mk 12,34).
AMEN.

 

10/24/21

PREDIGT 30. So. i. JK (B)

Jer 31,7-9 + Mk 10,46-52

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder und Jugendliche!
Wir sind wie die Jünger im heutigen Evangelium: zusammen mit Jesus sind wir dem blinden Bartimäus am Stadtrand von Jericho begegnet. Wir waren dabei als Augen- und Ohrenzeugen. „Sohn Davids, Jesus, hab Erbarmen mit mir“ (Mk 10,47), hat der geschrien. Wir haben uns vielleicht wie die Jünger geärgert über sein Geschrei, weil so Viele schreien – auch heute – weil wir dieses Geschrei nicht mehr hören können, geschweige denn das Elend mit ansehen. Da sprang der Blinde auf, warf seinen Mantel weg – das war alles, was er besaß – um schneller bei Jesus zu sein. Als ob der sein Leid und seine Armut lindern könnte. Kaum zu glauben. Wir werden ja sehen…
Als Jüngerinnen und Jünger waren wir dabei, als Jesus dreimal sein bevorstehendes Leiden in Jerusalem angekündigt hat (Mk 8,31-33; 9,30-34; 10,32-41) – am 24., 25. und 29. Sonntag im Jahreskreis. Wir können es nicht mehr hören. Wir sehen immer noch keinen Sinn darin, warum Jesus ausgerechnet nach Jerusalem gehen will. Menschlich und geologisch sind wir mit Jesus heute am Tiefpunkt angelangt, in der Stadt Jericho: sie liegt 250 m unter dem Meeresspiegel und ist die tiefstgelegene Stadt der Welt. Von Jericho führt ein Weg steil bergauf durch die Wüste nach Jerusalem – dorthin, wo Jesus, wie er gesagt hat, leiden würde.
Blöde Frage: „Was soll ich dir tun?“ (vgl. Mk 10,51), als ob nicht jeder von
uns wüsste, was sich der Blinde von Jesus erhofft…. Wir sehen: Jesus handelt nicht über den Kopf des Bartimäus hinweg; er nimmt ihn ernst; er begegnet ihm auf Augenhöhe und beginnt ein Gespräch, in dem das Ganze seiner Existenz zur Sprache kommt: „Rabbúni, ich möchte sehen können!“ (Mk 10,51). Wir spüren, dass dieses Sehen viel mehr ist als das Wiedererlangen des Augenlichts…: „Dein Glaube hat dich gerettet!“ (Mk 10,52).
Bartimäus sieht – wir sind wie mit Blindheit geschlagen. Bartimäus sieht mit glaubendem Herzen und geht in seiner Blindheit auf Jesus zu. Als Sehender und Glaubender folgt er Jesus; er hat keine Angst vor dem Kreuzweg, der vor Jesus liegt – wir sehen keinen Sinn in diesem Weg des Leidens.
Weltmissionssonntag – und dann diese merkwürdige Begegnung mit diesem jetzt sehenden Blinden. Diese Begegnung kann uns helfen, das Wort Mission zu verstehen. Es ist nämlich unsere Mission, unsere Aufgabe, als Christinnen und Christen weltweit: die Weitergabe des Glaubens. Glaube kann nicht weitergegeben werden, denn Glaube ist kein Gegenstand, über den wir verfügen können; Glaube ist eine Beziehungsgeschehen; Glaube ist Begegnung, Begegnung mit Jesus Christus. Das sehen und spüren wir: Bartimäus ist ein Glaubender, weil er seine ganze Hoffnung auf Gott setzt, der ihm in Jesus Christus nahekommt. Bartimäus glaubt, dass Jesus ihm weit mehr eröffnen kann als den Weg in ein normales Leben. Dieser Glaube hat für Bartimäus und für uns Christen eine befreiende und verwandelnde Kraft: Der Glaube kann meinem Leben eine neue Richtung und einen neuen Sinn geben; glaubend kann ich die Beziehung zu Jesus als den tragenden Grund meines Lebens erfahren und ihm nachfolgen. Ich kann dann anderen Menschen von meiner Beziehung zu Jesus erzählen: Was Jesus und der Glaube an ihn für mich bedeuten; wo ich durch ihn neu sehen kann, weil er mir neue Perspektiven für mein Leben schenkt.
So wird der Glaube weitergegeben – damals wie heute. Genau das ist auch der Weg der Mission im westafrikanischen Senegal, dem Beispielland des diesjährigen Weltmissionssonntags, in dem auch unserer Partnerdiözese Thiès liegt. Meist Frauen, die den Glauben dort weitergeben – von Frau zu Frau und von Mutter zu den Kindern – Frauen, die von kirchlichen Einrichtungen und Helferinnen und Helfern auch im Meistern des Alltags unterstützt werden: Wie sie ihre Kinder gesund ernähren und vor Krankheiten schützen können. Wie sie für ihre Familien ein kleines Einkommen erwirt-schaften können. Wie sie ihre Kinder – auch die Mädchen! – auf die Schule schicken können, damit sie eine gute Zukunft haben. Kirchliche Helfer und Helferinnen, die auch davon erzählen, was ihnen selbst Kraft gibt für ihren Dienst; was ihnen immer wieder Mut macht, angesichts der vielen Probleme und Sorgen nicht aufzugeben: Das ist auch die gute Zusammenarbeit und das friedliche Zusammenleben mit der Mehrheit der Bevölkerung, die sich im Senegal zum Islam bekennt – lediglich eine kleine Minderheit der rund 16 Millionen Einwohner sind christlichen Glaubens. Es ist ein Sehen mit dem Herzen, das nicht auf Trennendes sieht, sondern auf das Verbindende. Die Kirche genießt im Senegal große Anerkennung, denn die kirchlichen Angebote im Gesundheits- und Bildungsbereich sind für alle offen – auch für Muslime. „Lasst uns nicht müde werden, das Gute zu tun“ (Gal 6,9) – das Motto des Weltmissionssonntags 2021 ist wesentlich für die Mission: Die Menschen sollen sehen, dass die Botschaft gelebten Glaubens konkret mit ihnen und ihrem Leben zu tun hat, und sie sollen mit dem Herzen spüren, welche Kraft in diesem Glauben an Jesus Christus steckt; wie er ihr Leben von innen heraus erneuern und in einem umfassenden Sinn heilen kann.
Wir sind wie die Jüngerinnen und Jünger im heutigen Evangelium: wir machen eine Wandlung durch – zuerst waren wir abweisend; aber dann sprechen vielleicht auch wir. „Hab nur Mut, steh auf, er [= Jesus] ruft dich“ (Mk 10,49). Jesus brauchte damals die Jünger, die Bartimäus ermutigen, aufzustehen und ihn, auf Jesus Christus, zuzugehen. Solche Menschen sind auch heute wichtig und gefragt: Menschen, die anderen Mut machen, sich nicht einfach mit ihrer Situation zufriedenzugeben und die Hoffnung auf ein besseres Leben nicht einfach aufzugeben – Menschen, die anderen Mut machen, ihre Hoffnung auch auf Gott zu setzen und an seinen Sohn, Jesus Christus, zu glauben. In IHM hat die Menschenfreundlichkeit, Barmherzigkeit und Liebe Gottes ein menschliches Gesicht. Stärken wir Mutmachern bei uns und weltweit den Rücken und unterstützen wir das Gute, das sie tun, und ihre christliche Missionsarbeit durch unser Gebet, durch unsere Solidarität und durch unsere Spende! AMEN.

10/24/21

PREDIGT 28. So. i. JK (B)

Mk 10,17-30

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder und Jugendliche!
Zwei Männer sitzen sich am Tisch gegenüber – es sieht aus, als spielten sie Karten. Abwechselnd wirft jeder seine Karten in die Mitte, um den anderen auszustechen: „Mein Auto, mein Haus, meine Jacht“ so lautet der zugehörige Werbespott einer Bank vor einigen Jahren. Es wurde suggeriert, dass ich mit dieser Bank das „große Geld“ mache – alles meins: „Mein Auto, mein Haus, meine Jacht“ – größer, teurer, luxuriöser.
Reichtum, der zur Geste des Schulterklopfens veranlasst, Lob für den Erfolg-Reichen. So werde ich es auch machen: Ich werde die Bank wechseln. Ich werde reich sein. Ich werde viel besitzen…, denke ich mir.
Zwei Männer – auch im „Werbespott“ des heutigen Evangeliums: Einer kniet vor dem anderen, will die „Anlagestrategie“ für das ewige Leben. Genau genommen will er eine Bestätigung seiner Lebensweise: Ich mache doch schon alles richtig: Ich halte die Gebote der Mitmenschlichkeit seit Jugend an. Doch Jesus legt den Finger in die wunde Stelle: Geh, verkaufe, was du hast, gib das Geld den Armen und du wirst einen Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach! (Mk 10,21). Traurig und betrübt geht der Mann von Jesus weg, denn er hat ein großes Vermögen. Ich frage mich: Wie hätte ich gehandelt? Wie hätte ich mich gefühlt?
Mit dieser Szene mutet Jesus den Jüngern und mir einiges zu: Da sage ich nicht so leicht Ja wie bei den Reichtums-Versprechen der Bank. Ich hätte mir die Szene mit dem reichen Jüngling ganz anders gewünscht: einfühlsamer – und auch „werbewirksamer“. Das radikale Verhalten Jesu stört mich: Hätte Jesus in seiner Menschenliebe nicht Ja sagen müssen zu dem jungen Mann? Ja, du hast alles richtiggemacht; Ja, du bist auf der Erfolgsspur im Leben und Glauben; Ja, folge mir nach, so wie du bist.
Auch wenn ich die Szene wieder und wieder betrachte und lese, ändert sich die Aussage Jesu nicht. Aber ich sehe ein anderes Verhalten Jesu, dass ich auf den ersten Blick übersehen und überlesen habe. Bevor Jesus die radikalen Worte spricht, entdecke ich sein verstecktes Ja: Jesus sah den jungen Mann an und umarmte ihn (vgl. Mk 10,21). In aller Freundschaft und Bejahung seines bisherigen Lebens kann Jesus dem jungen Mann sagen, was ihm „zum ewigen Leben“ noch fehlt: Geh, verkaufe, was du hast…!
Trotz der veränderten Haltung und positiven Einstellung Jesu dem Menschen gegenüber bleibt ein bitterer Beigeschmack: Reichtum und Reich Gottes gehen nur schwer zusammen: Wie schwer ist es für Menschen, die viel besitzen, in das Reich Gottes zu kommen! […] Leichter geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt (Mk 10,23.25). Die Jünger, die die Szene mit dem reichen Jüngling beobachtet und die Worte Jesu gehört hatten, sprechen bestürzt aus, was sie an der Radikalität Jesu stört: Wer kann dann noch gerettet werden? (Mk 10,26).
Zu reich fürs Himmelreich? – Diese Frage ist der bohrende Stachel im Fleisch, damals wie heute. Eine Frage, die mich stört, die mich anfragt in meinem Lebensstil, in meinem Streben nach Geld und Erfolg. Ich muss zugeben: Es geht mir gut. Ich habe mein Auskommen und was ich zum Leben brauche. Aber ich frage mich: Bin ich zu reich für das Reich Gottes?
Für mich gibt das heutige Evangelium zwei bedenkenswerte Antworten: Es keine Frage des Reichtums, ob ich ins Reich Gottes gelange, sondern meines Vermögens – und das im doppelten Wortsinn: Wenn ich durch meinen Reichtum hartherzig geworden bin, wenn mein Herz nur am Geld hängt und mir alles andere egal ist, dann vermag ich nicht, mich für andere Menschen und für Gott zu öffnen, dann erschwert mein Reichsein diese wertvollen und reichhaltigen Beziehungen, die Solidarität mit den Armen und Bedürftigen und macht mir auch die Nachfolge Jesu schwer. Was ich mit meinem Vermögen zu tun vermag, darauf kommt es an – Gott wird das Seinige, all das, was nicht in meiner Macht steht, dazu tun.
Zudem kommt es auf die Absicht und Motivation meines Handelns an: Darauf, warum ich mein Vermögen mit Bedürftigen teile, warum Familienbande zwar wichtig, aber wie die Bindung an Besitz und Reichtum für mich nicht alles sind. Es geht um „mehr“ – darum, frei zu werden und offen zu sein für Jesus Christus und sein Evangelium. Wenn ich mich darauf einlasse, dann kann ich den Weg gehen, zu dem Jesus Christus mich werbend einlädt: Komm und folge mir nach! (Mk 10,21) AMEN.

10/3/21

PREDIGT 27. So. i. JK (B)

Gen 2,18-24 + Mk 10,2-12 (LF)

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder und Jugendliche,
Gott hat alles geschaffen, Erde und Himmel, Sonne, Mond und Sterne – die Kinder und auch wir haben diesen Lobpreis auf den Schöpfer allen Lebens und allen Seins angestimmt. Heute am Erntedankfest sind wir dankbar, dass mit Gottes Segen und durch die Arbeit des Menschen viel wachsen und reifen konnte: einen kleinen Ausschnitt der Vielfalt an Obstsorten und Fülle Gemüsearten, die in unsren Gärten, auf Feldern und auch in fernen Ländern gewachsen sind, zeigt unser Erntealtar. Gott sei Dank – Erntedank!
Gott sorgt sich um uns. Er will, dass es uns gut geht – und wir Menschen sollen dafür sorgen, dass es auch den Generationen nach uns gut geht; das ist unsere Mitverantwortung an Gottes guter Schöpfung. Nachhaltig sollen wir mit der Erde und den Ressourcen umgehen und diese nicht auf Kosten der nach uns Kommenden ausbeuten. Im Text, der vor der heutigen Lesung im Buch Genesis steht, heißt es: Gott, der HERR, ließ aus dem Erdboden allerlei Bäume wachsen, begehrenswert anzusehen und köstlich zu essen […]. Gott, der HERR, nahm den Menschen und gab ihm seinen Wohnsitz im Garten von Eden, damit er ihn bearbeite und hüte. (Gen 2,9*.15)
Gott hat auch uns Menschen geschaffen – so erzählt es die Bibel. Gott sorgt sich um uns Menschen. Er will, dass es uns gut geht und dass der Mensch nicht alleine ist, sondern eine Hilfe hat – ebenbürtig, auf Augenhöhe (vgl. Gen 2,18). Gott kreiert die verschiedensten Vögel und Tiere (vgl. Gen 2,19-20) – Nutz- und Haustiere, schön und gut; aber diese sind kein ebenbürtiges, aufeinander bezogenes, einander ergänzendes und zueinander passendes Gegenüber. Die Bibel erzählt von der Erschaffung des Menschen als Mann und Frau – aus dem einen Menschen – so wie man sich das in der Vorstellungswelt vor fast 3000 Jahren gedacht hat. Obwohl der Text alt ist, steckt viel drin für unser heutiges Verständnis vom Menschen: die Frau entsteht nicht aus dem Mann, sondern Mann und Frau entstehen aus dem einen Menschen – die Frau ist damit nicht ein Mensch zweiter Klasse, sondern dem Mann gleichgestellt – von Anfang an. Wir wissen heute um die Evolution; wir wissen um die Zeitbedingtheit der Schöpfungserzählung(en) in der Bibel – und doch ist sie theologisch wahr. Bibel und Wissenschaft schließen sich nicht aus, sondern sind zwei verschiedene Sichtweisen auf die Wirklichkeit: Als Christen glauben wir, dass Gott hinter allem steckt, dass er für die Schöpfung und die Evolution, die Entwicklung der Arten und des Menschen verantwortlich ist – und wir glauben, dass Gott sich um uns sorgt und will, dass es uns Menschen gut geht. Gott, der Schöpfer, will unser Partner sein – und er will, dass es Menschen gibt, die einander ebenbürtig Partner/Partnerin, Freund/Freundin sind – die einander Hilfe sind und einander im Leben und im miteinander leben unterstützen. Dafür dürfen wir dankbar sein:
wenn wir in einer solchen Beziehung, Partnerschaft, Ehe, Familie leben, wo genau das gelebt wird: füreinander da sein in guten und bösen Tagen – wir danken für die Früchte guten und gelingenden Zusammenlebens.
Nicht immer gelingt dieses Zusammenleben: Streit und Uneinigkeit, Egoismus und mangelnde Unterstützung. Beziehungen, Partnerschaften, Ehen können bröckeln und zerbrechen – Scheidung, davon spricht Jesus heute im Evangelium. Scheidung zeigt, dass nicht alles gut ist – und dass Menschen darunter leiden, weil das Zusammenleben nicht gelingt. Zurzeit Jesu hatten die Männer mehr Rechte: sie konnten sich scheiden lassen – aus welchen Gründen auch immer; Frauen konnten das nicht – sie waren oft die Leidtragenden, weil Männer sich alles erlauben durften, ohne dass es Konsequenzen hatte. Jesus sieht das Leid der Frauen und gesteht auch ihnen die Scheidung zu (vgl. Mk 10,2-12) – Gleichberechtigung, wenn es nicht mehr auszuhalten ist, man(n) und frau sich in neue Beziehung flüchten und so den Bruch des Ehebundes begehen. Das ist aber nicht die vorrangige Perspektive: Ziel ist das gelingende und gute Zusammenleben – ein Leben lang.
Die textlich „angehängte“ Segnung der Kinder (vgl. Mk 10,13-16) bringt das auf den Punkt: das Annehmen des Reiches Gottes, des Guten, das Gott in Natur, in Partnerschaft, in Ehe und Familie schenkt – das Tun des Men-schenmöglichen, um dieses Gut und das Gute zu erhalten, damit es – im Vertrauen auf Gottes Segen – wachsen und reifen kann. Gott sei Dank – Erntedank – auf ganz verschiedenen Ebenen – mitten im Leben! AMEN.

Zum Erntedank ein erfrischendes Video zum Mitsingen:
Gott gab uns Atem – hier der LINK dazu: https://www.youtube.com/watch?v=DEDd1KYHu3Q

10/3/21

PREDIGT 26. So. i. JK (B)

Num 11,25-29 + Mk 9,38-43.45.47-48

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder und Jugendliche!
Was bedeutet Heimat für Sie? Wie ist der Begriff „Heimat“ bei Ihnen gefüllt? Wann kommen bei Ihnen Heimatgefühle hoch?
Heimat ist für mich, wenn ich schon von weitem den Ebensfelder Kirchturm sehe … wenn ich meine Familie, alte Bekannte und gute Freunde treffe und dabei die Zeit vergesse – da ist meine Heimat, da bin ich zuhaus. Heimat ist für mich ein Ort, der mir lieb und teuer ist – ein Ort, an dem ich mich wohl fühle und geborgen bin, wo meine familiären Wurzeln und meine Freunde sind. Heimat ist also Beziehung – Leben in guten Beziehungen. Nach vier Jahren hier in Hochfranken kann ich – auch wenn mir als derzeit leitender und dienender Pfarrer im SSB Hofer Land manches neu ist – sagen: da ist meine Heimat, da bin ich zuhaus.
Die heutige Lesung hat auf den ersten Blick nichts mit „Heimat“ zu tun – es geht um charismatische, geistbegabte Menschen, die Mose, dem Anführer der Israeliten, von Gott zur Seite gestellt werden. Aber betrachtet man die Umstände, unter denen das geschieht, dann wird schnell klar: Es geht um Heimat und Beheimatung. Nur gemeinsam ist die „Heimat“ zu erreichen.
Das Volk Gottes ist unterwegs. Anfangs hatten viele Israeliten, Männer und Frauen, junge Erwachsene, ihre Familien verlassen, um in Ägypten bessere Arbeitsbedingungen und eine neue Heimat zu finden – so der Wunschtraum. Die Realität sah schnell anders aus: sie waren und blieben Fremde in ihrer Wahlheimat – das ist heute oft nicht viel anders. Mose führte die Israeliten in die Freiheit, aber die Leitung auf dem Weg durch die Wüste in die neue „alte Heimat“ schafft Mose nicht allein – das macht Mose zu schaffen: Er braucht gute Mitarbeiter. 70 Älteste werden ausgewählt. Sie erhalten – so erzählt es die Lesung (Num 11,25-29) – den Geist Gottes und werden zu Propheten. Menschen, die Perspektiven entwickeln und andere Menschen führen sollen, brauchen Geist – Geist, der weit mehr ist als Menschenvernunft oder Altersweisheit – sie brauchen Gottes Geist. Prophetischen Frauen und Männer sind weit mehr als Mahner und Künder von Ereignissen oder drohendem Unheil; es sind Menschen, die genau auf die Realität und die Ursachen menschlichen Handelns schauen; die Umstände, Zustände und Missstände und ihre Zusammenhänge aufdecken und die den Mitmenschen bei einem entsprechenden Lebenswandel eine gesegnete Zukunft verheißen.
In diesem Sinn ist Jesus ein prophetischer Mahner, der Partei für die Kleinen und Unterdrückten ergreift: „Wer einen von diesen Kleinen, die an mich glauben, zum Bösen verführt, für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer geworfen würde“ (Mt 9,41). Mit Entschiedenheit tritt Jesus für die Kleinen und Wehrlosen ein – eine klare Absage an jede Form von Machtmissbrauch und Grenzüberschreitungen aller Art und auch an die Vertuschung solcher Machenschaften. Jesus geht es „Heimat“,
um Orte, wo Menschen sich wohlfühlen, gut miteinander auskommen und leben können, um gelingende Beziehungen, um den Schutz der Wehrlosen, um Hilfe für und Solidarität mit den Bedürftigen, um gelebte Nächstenliebe, um Caritas. Deshalb passt das heutige Evangelium so sperrig es auch klingen mag, sehr gut zum Sonntag, mit dem die Caritas-Sammlungen und damit die Spendenaktion für die pfarrliche, diözesane und institutionalisierte Caritas mit ihren vielen Beratungsstellen und Angeboten für Bedürftige beginnt. Wes Geistes Kind seid ihr? Die Frage des Eingangsliedes klingt im Evangelium (Mk 9,38-43.45.47-48) erneut an und fordert von mir eine Antwort: Lebe ich aus Gottes Geist den Weg in der Nachfolge Jesu, oder mache ich anderen durch mein Tun das Leben zur Hölle?
Jesus versteht unter „Hölle“ die größtmögliche Gottferne und damit das Gegenteil von Heimat. Hölle, ein Ort nicht erst am Ende der Zeit, sondern ganz nah, hier bei uns: Es sind Orte, an denen Gott mit seiner Botschaft der Caritas, der gelebten Nächstenliebe keine Chance hat, wo ein liebevolles Miteinander und Füreinander nicht (mehr) möglich ist.
Kirche will Heimat sein – nicht „heile Welt“, sondern Wirklichkeit, in der man(n) und frau gerne zuhause sind. Gemeinden sollen und müssen Orte bleiben, wo auch junge Menschen zuhause sind, wo sie Gleichgesinnte treffen, Projekte organisieren, diskutieren und den Glauben leben können. Jeder Mensch braucht ein Zuhause, erfahrbare Caritas und Nächstenliebe sowie gute Beziehungen, die Heimat geben. Alleine ist das nicht zu schaffen, auch für einen leitenden Pfarrer mit einem guten pastoralen Team und Ehrenamtlichen nicht. Helfen wir alle mit – auch durch nötige Veränderungen in der Kirche –, dass wir als Pfarrgemeinde ein solches Zuhause sind und bleiben: Propheten sind wir alle, du und ich – gesalbt mit Gottes Geist in Taufe und Firmung – Propheten sind wir alle, du und ich. AMEN.

09/19/21

PREDIGT 25. So. i. JK (B)

Jak 3,16-4,3 + Mk 9,30-37

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder und Jugendliche!
Wer wird’s? – In diesen Tagen dreht sich alles um die Frage: Wer setzt sich durch? Wer schafft es an die Spitze? Wer macht den ersten Platz? Wer ist der oder die Größte? Auftritte in ganz Deutschland – meist mehrere am Tag heute hier, morgen dort – Interview- und Fototermine, Fernseh-Trielle. Ein unheimlicher Leistungsdruck und Leidensdruck, der auf Politikerinnen, Politiker und Parteien lastet – aber auch in unserem alltäglichen Leben nehmen wir einiges in Kauf: in der Schule, in Ausbildung und Studium, im Beruf, im Sport und beim Freizeitverhalten: Oft zählt nur der oder die Erste, der Größte und die Beste.
Wer ist der Größte – die Jünger Jesu streiten und wetteifern unterwegs leidenschaftlich darüber. Voller Ehrgeiz setzen sie sich gegenseitig unter Druck und verfallen letztlich dem Größenwahn: Ich bin der Größte – nein, ich bin viel besser, weil… – du hast nicht – ich aber, ich habe Folgendes geleistet… Von Jesus auf ihr Weg-Gespräch angesprochen, schweigen sie betroffen. Seine Vorstellung vom „Erster-Sein“ sieht ganz anders aus: keine Ellbogengesellschaft, wo jeder zuerst nur an sich denkt, sondern dienende Mitmenschlichkeit und gelebte Partnerschaft: Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein (Mk 9,35), sagt Jesus.
Jesus ist auf dem Weg nach Jerusalem, unterwegs zum Dienst der Fußwaschung und zur Selbsthingabe in der Eucharistie, unterwegs zur Auslieferung ans Kreuz und in den Tod. Das Zusammenwirken zwischen Gott und Mensch scheint gescheitert, heillos ausgeliefert und zum Tod verurteilt, weil Menschen die dienende und liebende Größe Jesu Christi nicht anerkennen. Gerade in dieser auf ihn zukommenden Ablehnung, kommt es für Jesus darauf an, Diener zu sein: sich nicht ängstlich oder duckmäuserisch, sondern dienend und aus Liebe klein zu machen für die Menschen, damit diese groß sein und besser leben können. Es geht dabei nicht um die eigene menschliche Größe, sondern um die Würde und das Ansehen des Mitmenschen, sei er rein äußerlich auch noch so klein.
Jesus stellt ein kleines Kind in die Mitte der nach Größe strebenden Jünger (Mk 9,36-37) – ein Kind, das wie alle Kinder zurzeit Jesu in der Gesellschaft nichts galt, keine Rechte hatte, und daher meist von den Erwachsenen übersehen wurde. Ein ungeheuer sprechendes Zeichen: bei Jesus steht das unscheinbare Kind nicht abseits, sondern im Zentrum. Mehr noch: Jesus macht sich klein vor dem Kind und behandelt es nicht von oben herab. Er sieht das Kind auf Augenhöhe an, gibt ihm so Würde und Ansehnen in der Welt der Erwachsenen. Mehr noch: Jesus nimmt das Kind in seine Arme und macht es so zum Partner, zum Partner auf Augenhöhe, zum äußerlich kleinen Partner, in dem die Größe und Liebe Gottes erfahrbar werden.
Wohin bin ich unterwegs? Was sind meine Lebensziele? Was steht bei mir im Zentrum? – Fragen, die das heutige Evangelium aufwirft.
Kreisen in einer Partnerschaft oder einer Familie, in einem Team, einer Klasse, einer Gemeinde oder Gemeinschaft die Gedanken nur ums eigene Ich? Will Ich selber nur „groß rauskommen“ und suche darum den eigenen Vorteil? – Dann wird das Zusammenleben und Zusammenarbeiten schnell ungerecht: Abhängigkeiten zeigen sich; Unterdrückung und Ausbeutung als Folgen von Ich-Zentriertheit sind vorprogrammiert – und dass unabhängig, ein Ehepartner sich und seine Interessen für das Entscheidende, ob Haupt- und Ehrenamtliche ihren Kreis oder ihre Gruppe für die Wichtigste halten, oder ob der Pfarrer sich für unersetzlich hält, oder ob wir andere klein reden, um selbst groß rauszukommen.
Echte Zusammenarbeit und gutes Zusammenleben sieht anders aus: Sie geschehen auf Augenhöhe; sie lassen den anderen gelten und sei er/sie noch so klein, weil auch in ihm/ihr die Größe Gottes steckt; echte Zusammenarbeit und gutes Zusammenleben schätzt den anderen als wertvoll ein und entdeckt in ihm/ihr das Wirken des Geistes Gottes; echte Zusammenarbeit und gutes Zusammenleben sieht, fördert und verteilt die Charismen, damit sie allen in der Gemeinde, in einer Organisation oder in einem Team dienlich sind. Wer sich klein machen kann und anderen dienlich ist, der zeigt wahre Größe in der Nachfolge Jesu Christi. AMEN.

09/19/21

PREDIGT 24. So. i. JK (B)

Jes 50,5-9a + Mk 8,27-35

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder und Jugendliche!
Kleine Bilder und Fotos geliebter Menschen und mir wichtigen Ereignissen hängen in meiner Wohnung und stehen auf meinem Schreibtisch: Ein Bild meiner Eltern und ein Foto von meinem Bruder und seiner Familie und von meiner Priesterweihe. Die ersten Kunstwerke von meinem Patenkind. Ein Gebetsbildchen von einem Kloster, wo ich zu Exerzitien war, einige Trauerbildchen, … Wenn andere Menschen diese Fotos sehen, können sie daran viel ablesen: sie können erahnen, was mir im Leben wichtig ist. Sprechende Bilder, die über mehrere Jahre – ja ein ganzes Leben lang – gesammelt werden, gewähren Einblick in mein Leben, bilden meinen Lebensweg in ausgewählten Stationen und wichtigen Situationen ab. Menschen können auf diesen Bildern einiges lesen: Freude und Schmerz, Krankheit und Trauer. Und sie können die Person erahnen, die hinter diesen Bildern steckt, auch wenn sie diese persönlich nicht (näher) kennen.
Die heutige Lesung aus dem Buch Jesaja gewährte einen Einblick ins Leben einer unbekannten Person durch ein „textliches Foto“, durch eine schriftlich fixierte Momentaufnahme. Es ist das Bild eines gequälten und leidenden Menschen, ein Bild das für sich selbst spricht: Ich aber wehrte mich nicht und wich nicht zurück. Ich hielt meinen Rücken denen hin, die mich schlugen, und meine Wagen denen, die mir den Bart ausrissen. Mein Gesicht verbarg ich nicht vor Schmähungen und Speichel. […] Deshalb mache ich mein Gesicht hart wie einen Kiesel (Jes 50,5-7).
Es ist eine Momentaufnahme, eines von vier Portais im Lebenslauf eines Menschen. Diese vier Bilder halten das Leben einer unbekannten Person textlich fest: Der unermüdliche Gottesknecht der Recht und Gerechtigkeit bringen soll, gerade für die Benachteiligten und Unterdrückten: Das geknickte Rohr zerbricht er nicht und den glimmenden Docht löscht er nicht aus; ja, er bringt wirklich das Recht. Er verglimmt nicht und wird nicht geknickt, bis er auf der Erde das Recht begründet hat (Jes 42,3-4).
Das zweite, zeitversetzte sprechende Bild ist ambivalent. Es zeigt die Re-signation und die Motivation des Gottesknechtes: Vergeblich habe ich mich bemüht, habe meine Kraft für Nichtiges und Windhauch vertan. Aber mein Recht liegt beim HERRN und mein Lohn bei meinem Gott. […] So wurde ich in den Augen des HERRN geehrt und mein Gott war meine Stärke (Jes 49,4-5).
Das dritte Bild ist das Bild der heutigen Lesung: es ist der in die Bedrängnis geratene Gottesknecht, angefeindet, angeschlagen, angespuckt.
Am Ende – ein Bild des Scheiterns und der Gottverlassenheit: ein Mann voller Schmerzen, mit Krankheit vertraut. Wie einer, vor dem man das Gesicht verhüllt, war er verachtet; wir schätzten ihn nicht. Aber er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen. Wir meinten, er sei von Gott geschlagen, von ihm getroffen und gebeugt (Jes 53,3-4).
Dieses letzte Textbild eines leidenden Unbekannten wird uns immer am Karfreitag vor Augen gestellt. Es erhält damit eine Deutung: Jesus ist der leidende Gottesknecht, er der Gequälte und Gekreuzigte, der es ausruft: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? (Mk 15,34).
Vier Bilder, die ein Menschen-Leben abbilden. Vier Bilder eines Lebens, die viel aussagen und doch offenbleiben. Vier Bilder, in denen auch ich mich wiederfinden kann und heutige Mit-Menschen sehen kann:

  • Wenn Menschen nicht über andere richten, sondern sie aufrichten durch ein gutes Wort, durch Zuwendung und zupackende Hilfe.
  • Wenn Menschen scheitern, wenn sie keinen Erfolg in ihrem Tun sehen, wenn Beziehungen bröckeln und zerbrechen und wenn sie in den Brüchigkeiten und Bruchstücken des Lebens Halt finden im Glauben und durch andere Menschen, die für sie da sind und Halt geben.
  • Wenn Menschen krank sind, unter quälenden Schmerzen leiden; wenn sie am Leben und unter der Last der auferlegten Kreuze zusammenbrechen; wenn sie sich von Gott und Mitmenschen verlassen fühlen.

Bilder des Lebens – scheinbar hoffnungslos, heute wie damals. Angesichts des Leids bleibt die Frage nach dem liebenden und menschenfreundlichen Gott. Doch malt Jesaja in jedes sprechende Lebensbild vom leidenden Gottesknecht auch Hoffnung hinein: Gott, der Herr, wird mir helfen (Jes 50,7a.9a). Das fordert mein Denken und meinen Glauben: Finde ich Hoffnungsspuren in den leidvollen Bildern meines Lebens?