PREDIGT 24. So. i. JK (B)

Jes 50,5-9a + Mk 8,27-35

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder und Jugendliche!
Kleine Bilder und Fotos geliebter Menschen und mir wichtigen Ereignissen hängen in meiner Wohnung und stehen auf meinem Schreibtisch: Ein Bild meiner Eltern und ein Foto von meinem Bruder und seiner Familie und von meiner Priesterweihe. Die ersten Kunstwerke von meinem Patenkind. Ein Gebetsbildchen von einem Kloster, wo ich zu Exerzitien war, einige Trauerbildchen, … Wenn andere Menschen diese Fotos sehen, können sie daran viel ablesen: sie können erahnen, was mir im Leben wichtig ist. Sprechende Bilder, die über mehrere Jahre – ja ein ganzes Leben lang – gesammelt werden, gewähren Einblick in mein Leben, bilden meinen Lebensweg in ausgewählten Stationen und wichtigen Situationen ab. Menschen können auf diesen Bildern einiges lesen: Freude und Schmerz, Krankheit und Trauer. Und sie können die Person erahnen, die hinter diesen Bildern steckt, auch wenn sie diese persönlich nicht (näher) kennen.
Die heutige Lesung aus dem Buch Jesaja gewährte einen Einblick ins Leben einer unbekannten Person durch ein „textliches Foto“, durch eine schriftlich fixierte Momentaufnahme. Es ist das Bild eines gequälten und leidenden Menschen, ein Bild das für sich selbst spricht: Ich aber wehrte mich nicht und wich nicht zurück. Ich hielt meinen Rücken denen hin, die mich schlugen, und meine Wagen denen, die mir den Bart ausrissen. Mein Gesicht verbarg ich nicht vor Schmähungen und Speichel. […] Deshalb mache ich mein Gesicht hart wie einen Kiesel (Jes 50,5-7).
Es ist eine Momentaufnahme, eines von vier Portais im Lebenslauf eines Menschen. Diese vier Bilder halten das Leben einer unbekannten Person textlich fest: Der unermüdliche Gottesknecht der Recht und Gerechtigkeit bringen soll, gerade für die Benachteiligten und Unterdrückten: Das geknickte Rohr zerbricht er nicht und den glimmenden Docht löscht er nicht aus; ja, er bringt wirklich das Recht. Er verglimmt nicht und wird nicht geknickt, bis er auf der Erde das Recht begründet hat (Jes 42,3-4).
Das zweite, zeitversetzte sprechende Bild ist ambivalent. Es zeigt die Re-signation und die Motivation des Gottesknechtes: Vergeblich habe ich mich bemüht, habe meine Kraft für Nichtiges und Windhauch vertan. Aber mein Recht liegt beim HERRN und mein Lohn bei meinem Gott. […] So wurde ich in den Augen des HERRN geehrt und mein Gott war meine Stärke (Jes 49,4-5).
Das dritte Bild ist das Bild der heutigen Lesung: es ist der in die Bedrängnis geratene Gottesknecht, angefeindet, angeschlagen, angespuckt.
Am Ende – ein Bild des Scheiterns und der Gottverlassenheit: ein Mann voller Schmerzen, mit Krankheit vertraut. Wie einer, vor dem man das Gesicht verhüllt, war er verachtet; wir schätzten ihn nicht. Aber er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen. Wir meinten, er sei von Gott geschlagen, von ihm getroffen und gebeugt (Jes 53,3-4).
Dieses letzte Textbild eines leidenden Unbekannten wird uns immer am Karfreitag vor Augen gestellt. Es erhält damit eine Deutung: Jesus ist der leidende Gottesknecht, er der Gequälte und Gekreuzigte, der es ausruft: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? (Mk 15,34).
Vier Bilder, die ein Menschen-Leben abbilden. Vier Bilder eines Lebens, die viel aussagen und doch offenbleiben. Vier Bilder, in denen auch ich mich wiederfinden kann und heutige Mit-Menschen sehen kann:

  • Wenn Menschen nicht über andere richten, sondern sie aufrichten durch ein gutes Wort, durch Zuwendung und zupackende Hilfe.
  • Wenn Menschen scheitern, wenn sie keinen Erfolg in ihrem Tun sehen, wenn Beziehungen bröckeln und zerbrechen und wenn sie in den Brüchigkeiten und Bruchstücken des Lebens Halt finden im Glauben und durch andere Menschen, die für sie da sind und Halt geben.
  • Wenn Menschen krank sind, unter quälenden Schmerzen leiden; wenn sie am Leben und unter der Last der auferlegten Kreuze zusammenbrechen; wenn sie sich von Gott und Mitmenschen verlassen fühlen.

Bilder des Lebens – scheinbar hoffnungslos, heute wie damals. Angesichts des Leids bleibt die Frage nach dem liebenden und menschenfreundlichen Gott. Doch malt Jesaja in jedes sprechende Lebensbild vom leidenden Gottesknecht auch Hoffnung hinein: Gott, der Herr, wird mir helfen (Jes 50,7a.9a). Das fordert mein Denken und meinen Glauben: Finde ich Hoffnungsspuren in den leidvollen Bildern meines Lebens?