09/19/21

PREDIGT 23. So. i. JK (B)

Jes 35,4-7a + Mk 7,31-37

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder und Jugendliche!
Klick – Klick – Klick – ganz ohne Fotoapparat und ohne Handy fotografiere ich im Urlaub – Klick – Klick – Klick.
Und diese Bilder bleiben. Sie sind in mir gespeichert.
Es sind Bilder im Kopf und Bilder im Herzen – Bilder von einer Berg-wanderung mit traumhaften Ausblicken – Bilder von klaren, erfrischenden Berg- oder Badeseen – Bilder von einem Olivenhain, der nach dem Regen nach frisch gepresstes Olivenöl duftete – Bilder von Sonnenlicht, das ein Strahlen auf graue Altstadtmauern oder aufs Meer zaubert – Bilder von einem Regentag mit einem schönen, entspannenden Buch – Bilder um Kopf und Bilder im Herzen – Urlaubsbilder. Jede und jeder hat eigene Bilder um Kopf und Bilder im Herzen: schöne Bilder und wertvolle Begegnungen, wo alles gut war und ist. Es ist wichtig, solche Bilder zu haben – und es ist auch gut, wenn sie nach dem Urlaub und nach der Entspannung nicht sofort verblassen; es ist wie Leben in einer anderen Welt, die oft so verschieden ist, von unserem hektischen Alltag.
Es ist gut und tut gut, wenn wir diese Bilder im Kopf haben und sie im Herzen tragen und bewahren, wenn wir wieder in den Alltag zurückgehen – denn dort bleiben sie gespeichert als farbenfrohe und hoffnungsvolle Bilder einer „heilen Welt“ und rufen Erinnerungen und Gefühle wach – Erinnerungen und Gefühle, die mir und meinen Mitmenschen gut tun und die heilsam sind, wenn ich sie mit anderen teile und ihnen mitteile. Gesammelte und gespeicherte Bilder im Kopf, Herzensbilder, Farben, Gefühle, Erinnerungen, die mir und meinen Mitmenschen etwas eröffnen können: Hoffnung auf Leben und Lebendigkeit, auf Lebensfreude und Freude am Leben und Leben in Fülle.
Der Prophet Jesaja malt solche Hoffnungsbilder, für die Verzagten und Ängstlichen – farbenfrohe Bilder, die im Kopf bleiben und zu Herzen gehen sollen, für die, die nur noch schwarzsehen, die immer nur das Negative hören und sich davon anstecken lassen – fröhliche und ermutigende Bilder für alle, die vor Resignation und Selbstmitleid allmählich verstummt sind und denen das Gespür und das Reden über die schönen Seiten des Lebens auf den Lippen und im Herzen längst erstorben sind: Leben in Fülle mitten in der Wüste und den Wüstenzeiten des Lebens – neue Lebendigkeit und Lebensmut, um das Leben wieder mit allen Sinnen genießen zu können – trotz mancher Einschränkungen, trotz mancher Beeinträchtigung, trotz mancher Krankheit oder Behinderung. „Habt Mut, fürchtet Euch nicht!“ (Jes 35,4), ruft uns der Prophet Jesaja zu. Vertraut darauf und glaubt daran, dass diese Bilder Wirklichkeit werden können, weil Gott nahe ist – in Eurer erlebten und erlittenen Wirklichkeit und in den Hoffnungsbildern, die er Euch schenkt.
Dafür sollen wir offen sein und uns dafür öffnen. Der Ruf „Effata!“ (Mk 7,34), den Jesus im Evangelium einem Taubstummen zuspricht, gilt und: „Öffne dich!“ (Mk 7,34) – dort, wo du in deinem Leben blind und unachtsam geworden bist für die Schönheit der Natur, für Menschen, die dich brauchen und die Hoffnung, die dir blüht – dort wo ein gutes, wohltuendes Wort oder auch ein Hilfeschrei von dir überhört wird, oder berechtigte Kritik, die etwas auf eine gute Bahn lenken will, bei dir auf taube Ohren stößt. Öffne dich, dann macht es vielleicht auch „Klick“ in deinem Leben. AMEN.

08/2/21

PREDIGT 18. So. i. JK (B)

Ex 16,2-4.12-15 + Joh 6,24-35

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder, liebe Jugendliche!
Vielen von uns ist das fremd – wir haben keine Erfahrung damit:
– auf endlosen Wegen unterwegs, geflohen – ungewisses Ziel; wo da bleiben und Heimat finden und ein Auskommen haben?
– gequält von Hunger und Durst mit knurrendem Magen und trockener Kehle inmitten der Wüste und den Wüsten des Lebens
– eine Sehnsucht nach Leben, die Beine macht, Jesus nachzulaufen, bei ihm nach Speise und Trank zu suchen, die Leib und Seele nähren
Uns geht es gut – wir sind satt und haben ein Dach über dem Kopf. Die heutigen Lesungstexte sind uns fremd und scheinen fern unserer Lebenswelt, oder doch nicht?
– Die vor den Kriegsverbrechen Geflohenen, die Heimatvertriebe-nen damals, die Spätaussiedler und die Fliehenden und Geflüchteten unserer Tage.
– Die vielen Hungernden weltweit – obwohl doch die Nahrungsmit-tel bei gerechter Verteilung für alle ausreichen würden.
– Meine Sehnsucht nach Leben und Lebendigkeit, nach Achtung und Wertschätzung meiner Person, nach Erfüllung und Lebensfülle.
Gar nicht fremd und weit weg, sondern mittendrin im Leben – in mei-nem Leben, in unserer Lebenswelt, in dieser, unser Zeit.
Und vielleicht ist das auch meine Erfahrung:
– dass ich mit meiner Lebenssituation hadere, dass ich murre und unzufrieden bin: Wäre ich doch… Hätte oder könnte ich…
– dass Gott mein Leben will – nicht das es zugrunde geht; nicht dass ich am Boden zerstört bin, sondern dass ich lebe
– dass Gott auf wundersame Weise für mich sorgt; dass ich nichts tun kann und muss und mir das notwendige geschenkt wird, das was mich an Körper und Seele nährt: Himmelsbrot – Brot, in dem Liebe steckt und heilsame und kraftvolle Beziehung
Vielleicht ist das auch meine Sehnsucht, mein Gebet: „Herr, gib uns immer dieses Brot“ (Joh 6,34):
– damit mich daran sattessen und mich laben kann
– damit es mich nährt an Leib und Seele
– und meinen Hunger und Durst nach Leben stillt
– Brot, das sich brechen und teilen lässt
– Brot, das Beziehung stiftet mit Gott und untereinander
– Brot, das hält, was es verspricht: „Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben“(Joh 6,35)
Jesus Christus ist dieses Lebensbrot – gegenwärtig in Brot und Wein – gebrochen und geteilt für dich und für mich – Stärkung für mich in den Brüchen und Wüsten meines Lebens – Auftrag, mein Leben und was ich zum Leben habe, zu teilen und so zu leben – heute, morgen, immer. AMEN.

 

Ein Lied zur Einstimmung und zum Mitsingen (Gotteslob Nr.: 843 – Bamberger Anhang) als LINK: https://www.youtube.com/watch?v=SRyud7ePKdModer https://www.youtube.com/watch?v=VJ9u0JLPaDk

Noch ein Lied-LINK zur Vertiefung und zum Mitsingen (Gotteslob Nr.: 484) : https://www.youtube.com/watch?v=av02cGAdI70

07/12/21

PREDIGT 15. So. i. JK (B)

Am 7,12-15 + Mk 6,7-13

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder und Jugendliche!
Ich packe meinen Koffer und nehme mit …: eine lange Hose, meinen Lieblingspulli, Sonnencreme und ein gutes Buch. Ich packe meinen Kof-fer und nehme mit …: eine lange Hose, meinen Lieblingspulli, Sonnencreme, ein gutes Buch und … – ich kenne dieses Spiel zum Gedächtnistraining aus Zeiten, in denen es noch kein Sudoku gab. Ich packe meinen Koffer und nehme mit – bei jeder Runde wird ein neuer Gegenstand gedanklich in einen Reisekoffer gelegt. Bei jeder Wiederholung gilt es, keinen Gegenstand für diese Fantasiereise zu vergessen.
Ich packe meinen Koffer und nehme mit – bald beginnen die Ferien. Viele haben aufgrund niedriger Inzidenzwerte Reisepläne geschmiedet. Überlegungen, was in den Urlaub mitgenommen werden soll, laufen: Checklisten werden erstellt, damit nichts vergessen wird; Besorgungen werden gemacht.
Ich packe meinen Koffer und nehme mit …: in diesem Jahr ist „mein Koffer“ wieder mein Rucksack: im August mache ich Urlaub in den Bergen, da brauche ich nicht viel mitzunehmen – außer mein Stundenbuch, die kleine Taschenbibel und ein zwei Bücher, wenn das Wetter doch nicht so schön ist wie erhofft. Mein Rucksack hat nur begrenzt Platz. Ich muss sorgfältig überlegen, was ich wirklich brauche: zwei Wanderhosen, zwei Hemden, zwei T-Shirts, eine Regenjacke und ein wärmendes Flies; einen Sonnenhut, zwei paar Wandersocken, Unterwäsche, eingelaufene Wanderschuhe, Wanderstöcke… – … und dann das heutige Evangelium von der Aussendung der Jünger. Es macht mich nachdenklich: „Jesus gebot ihnen, außer einem Wanderstab nichts auf den Weg mitzunehmen, kein Brot, keine Vorratstasche, kein Geld im Gürtel, kein zweites Hemd und an den Füßen nur Sandalen“ (Mk 6,8-9).
In den parallelen Überlieferungen bei den Evangelisten Matthäus und Lukas ist die Gepäckliste sogar noch spartanischer: barfuß sollen sich die Jünger auf den Weg machen. Auch der Wanderstab als hilfreiche Stütze und zur Verteidigung gegen wilde Tiere soll daheim bleiben.
Ich frage mich: wie kann man so ausgerüstet von Ort zu Ort unterwegs sein, um das Wort Gottes zu verkünden, Kranke zu salben und zu heilen? Ist Jesus da nicht naiv und realitätsfremd? Braucht es nicht gerade deshalb eine gute und qualitativ hochwertige Ausrüstung, damit sich die Jünger unbesorgt ihren eigentlichen Aufgaben widmen können?
Aber gerade darum geht es Jesus: Die Jünger sind von ihm mit dem Nötigsten ausgerüstet; sie haben von Jesus das Wesentliche gelernt – und dieses Wesentliche ist eben nicht das Materielle. So ausgestattet sollen sie sich paarweise auf den Weg machen, um sich zu stützen und zu unterstützen – der Sorge Gottes und dem Wohlwollen der Menschen ausgesetzt. Die Offenheit und Empfänglichkeit der Menschen sind Voraussetzung, damit die Jünger ankommen und damit die Menschen von Gott heilend berührt werden können: Gastfreundschaft für Gott, offene Türen und Herzen für ihn.
Nur im Raum gelebter Gastfreundschaft und bedingungsloser Offenheit kann das durch die Jünger vermittelte Heilswirken Gottes geschehen – körperlich und seelisch. Diese heilsame Gastfreundschaft lässt sich nicht erzwingen: Dort wo die Jünger nicht willkommen sind, sollen sie weggehen und den Staub von ihren Füßen schütteln (vgl. Mk 6,11) – „macht doch euern Dreck doch alleine“, so könnte man diese Geste ins Heute übersetzen. Die Jünger sind Gast auf Zeit. Sie nisten sich nicht dauerhaft ein. Es sind Menschen, die im Aufbruch leben. So bleiben sie offen für neue Begegnungen, flexibel in ihrem Tun und dynamisch auf dem Weg.
Ich packe meinen Rucksack und nehme mit …: meine Wanderausrüstung, das Nötigste fürs Bergwandern und Lektüre für mein geistig-geistliches Unterwegssein. Ich packe meinen Rucksack und nehme mit …: dieses Evangelium für mein Leben. Von der Gepäckliste der Jünger kann ich lernen, dass weniger oft mehr ist. Weniger ist mehr: Wenn ich mich in meinem Leben nur mit den wirklich wichtigen Dingen belaste, dann behalte ich mir eine gewisse Unbeschwertheit im Leben, dann bleibe ich offen für neue Begegnungen und für Unerwartetes im Leben. Ich kann – wenn nötig – neue Wege einschlagen und Aufbrüche wagen, ohne allzu schweren Ballast. Ich kann lernen und einüben, dass Gastfreundschaft wichtig und heilsam ist – Gastfreundschaft, die offen ist für meine Mitmenschen und Gast-freundschaft, die offen ist für Gott, wie wir es vor dem Kommunionempfang aussprechen: Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund. AMEN.

07/10/21

10-JÄHRIGES PRIESTERJUBILÄUM IN ST. FRANZISKUS

Vor zehn Jahren, am 25.06.2011, wurde Pfarrer Dr. Dieter G. Jung im Dom zu Bamberg von Herrn Erzbischof Dr. Ludwig Schick zusammen mit drei anderen Priesteramtskandidaten zum Priester geweiht – Alexander Brehm ist bereits verstorben. Nach der feierlichen Sonntagsmesse in St. Franziskus, an der auch Mitglieder der Pfarreien Oberkotzau und Rehau teilnahmen, erinnerten die Pfarrangehörigen dankbar an dieses Ereignis. Die Pfarrgemeinderatsvorsitzende Heidi Hornig richtete einige Worte an die Gottesdienstgemeinde: „Wenn Ehepaare zehn Jahre verheiratet sind, spricht man von der Rosenhochzeit. Die Rosen mit ihrer Schönheit und ihrem Duft symbolisieren das eheliche Glück; die Dornen die schweren Tage und die Probleme des Zusammenlebens. Pfarrer Jung feiert heute sein 10-jähriges Priesterjubiläum; im September 2021 werden es vier Jahre, in denen er bei uns ist und wir haben in ihm einen Pfarrer, der in allen Lebenslagen fest an unserer Seite steht. Für sein segensreiches Wirken möchte ich ihm im Namen aller Pfarrangehörigen herzlich danken.“ Als Pfarrer Jung seinen Dienst aufnahm, waren es für ihn sicher keine rosigen Zeiten: Er musste ad hoc die drei Pfarreien Schwarzenbach, Oberkotzau und Rehau übernehmen, die Renovierung des Pfarrhauses war noch nicht abgeschlossen und seine Doktorarbeit war auch noch nicht fertig. Dieter Jung hat diese Herausforderungen mit viel Energie und Kraft gemeistert – und er ist nicht allein im Weinberg des Herrn. Heidi Hornig erinnerte an die vielen Ehrenamtlichen, die zusammen mit Pfarrer Jung pastoral tätig sind und auch an das Lied, das im Gottesdienst gesungen wurde: „Herr Du bist mein Leben, Herr du bist mein Weg. Du bist meine Wahrheit, die mich leben lässt. Du rufst mich beim Namen, sprichst zu mir Dein Wort. Und ich gehe Deinen Weg, du Herr gibst mir den Sinn. Mit Dir hab ich keine Angst, gibst Du mir die Hand. Und so bitt ich, bleib doch bei mir“. (GL 456) Frau Barbara Schaefer, stellvertretende Pfarrgemeinderatsvorsitzende, überreichte Jung zehn Sonnenblumen als Zeichen des Lichtes Jesu, das den Pfarrer in seinem priesterlichen Leben stets begleitet hat. Der Jubilar bedankte sich dafür, dass die Menschen in der Gemeinde ihr Leben und auch ihren Glauben miteinander teilen. Er schätze auch das gute Miteinander und bedankte sich bei den vielen ehrenamtlichen  Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die ihm mit Rat und Tat zur Seite stehen und freut sich auf eine weiterhin gute und gelingende Zusammenarbeit.

Foto: Walburga Arnold

07/4/21

PREDIGT 14. So. i. JK (B)

Ez 1,28b-2,5 + Mk 6,1b-6

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder und Jugendliche!
Den kenne ich – der ist genauso wie sein Vater und Großvater. Was soll ich da anderes erwarten: Stur bleibt stur. Ich kenne solche Einteilungen zu genüge: Menschen werden in Schubladen gesteckt, sie werden nach dem Verhalten ihrer Vorfahren eingeteilt; in unseren Dörfern mit den engen sozialen Gefügen ist das bis heute so… auch in einer kleinen Stadt ist das nicht viel anders. Das Schlimme an diesen Schubladen ist, dass der, der in eine solche eingekastelt wird, meist lebenslang darin gefangen ist. Veränderungen sind von vornherein ausgeschlossen, zumindest bei denen, die in Schubladen denken, da kann der in der Schublade sich noch so anstrengen: „Das kann nicht sein – der war schon immer so!“
Jesus geht es so im kleinen Kaff Nazareth, dem Heimatdorf seines Ziehvaters Josef: Dorthin kehrt er mit den Jüngern zurück. Zunächst gibt es ungläubiges Staunen und große Aufmerksamkeit für Jesus, als er in der Synagoge die Tora, die Heilige Schrift der Juden, erklärte. „Woher hat er das alles? Was ist das für eine Weisheit, die ihm gegeben ist! Und was sind das für Machttaten, die durch ihn geschehen?“ (Mk 6,2). Offene Fragen, aber kein Interesse an der Botschaft Jesu – denn die Antworten der Bewohner der kleinen Stadt und der umliegenden Dörfer sind alles andere als offen: Jesus wird in die Schublade seiner scheinbaren Herkunft gepresst: „Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria?“ (Mk 6,3); wie kann der, bei dieser Herkunft, so reden. Jesus erfährt Ablehnung, weil er nicht in die ihm zugedachte Schublade passt, weil er aus dem Rahmen der Erwartungen der Leute herausfällt. Aber: Nicht etwa die Gottessohnschaft oder die Jungfrauengeburt sind für die Leute Stein des Anstoßes – davon erzählt des Evangelium nichts: das Markusevangelium beginnt mit dem „erwachsenen Jesus“. Bei der Taufe im Jordan wird nur Johannes dem Täufer offenbart, dass dieser Mensch Gottes Sohn ist (vgl. Mk 1,9-11). Trotzdem ist für die Leute spürbar, dass Jesus anders ist. Statt dieses Au-ßerordentliche ernst zu nehmen und an die Größe und Unbegreiflichkeit Gottes, der sich in Jesus Christus offenbart, zu glauben, lehnen sie Jesus ab – wie sie glauben aus guten Grund: weil Jesus nicht in ihre gedachte Lebensordnung passt und durch sein Anderssein Unordnung in ihrem Glaubenssystem stiftet. Ihnen fehlt der Glaube, dass Jesus im Auftrag seines himmlischen Vaters lebt, wirkt und heilt. Ohne den Glauben an die Wirkmächtigkeit Gottes in Jesus Christus kann er in seiner Heimat keine Wunder tun – nur wundern kann er sich über den Unglauben der Leute (vgl. Mk 6,5-6): „Der Prophet gilt nichts im eigenen Land“ (vgl. Mk 6,4).
Was macht unser Menschsein wirklich aus?
Daheim werde ich oft über meinen Vater definiert: „dem Saalers Bernhard sei Sohn, der wo Pfarrer is.“ Was wir können, ist uns vorgegeben –
in unserer Familie gehörte über Generationen neben der Landwirtschaft die Herstellung von Seilen dazu. Heutzutage ist das anders: Wissen und Fertigkeiten werden nicht mehr nur vom Vater auf den Sohn vererbt, sondern auch an Schulen, durch Ausbildung und eigene Aneignung erworben. Heute bestimmen die eigenen Bildungsabschlüsse und geleistete Praktika die Berufsmöglichkeiten und Kariere – es bleibt aber ein Schubladendenken: was einer nicht von seinem Vater daheim oder vom seinem Ziehvater, dem Lehrer bzw. der Lehrerin in der Schule, im Betrieb oder an der Universität gelernt hat, wie und woher soll er das können?
Bei Jesus Christus bin ich mir sicher: aus der radikal verändernden Kraft des Heiligen Geistes, mit dem ihn Gott bei der Taufe ausgestattet hat.
Als Priester habe ich mir einiges angeeignet und von meinen Eltern habe ich viel gelernt. Trotzdem frage ich mich manchmal: „Woher habe ich das alles?“ Ich vertraue darauf, dass Gottes Heiliger Geist auch in mir wirksam und am Werk ist – in jedem Getauften und Gefirmten! Gestern war das eindrucksvoll bei der Firmung von 35 Jugendlichen in Oberkotzau spürbar: Gesendet zum Leben als mündiger Christ/mündige Christin. Dieses Leben aus Gottes Geist ist kein exklusives Geschehen – berufen sind alle Getauften und Gefirmten! Wir sind berufen, unseren Glauben prophetisch zu leben. Ich bin berufen, mein einengendes Schubladendenken aufzugeben und dafür Gottes Wirkmächtigkeit in meinem Leben Raum zu geben. Lassen wir Gottes Geist in uns und durch uns wirken, denn Propheten sind wir alle – auch du und ich. AMEN.

07/4/21

PREDIGT 13. So. i. JK (B)

Weis 1,13-15; 2,23-24 + Mk 5,21-43

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder und Jugendliche!

Zwölf Jahre
Zwölf Jahre – lange her, dass ich so alt war. Ich denke nach, wie das damals war, als ich zwölf war… Zeit zum Nachdenken
Ich war damals in der sechsten Klasse – war auf dem Gymnasium und tat mich unendlich schwer, v.a. mit den Fremdsprachen. Zeit zum Spie-len am Bach blieb kaum noch, der Ernst des Lebens hatte begonnen. Mein Bruder war in diesem Jahr in die Schule gekommen ein zweiter Schreibtisch musste her, damit jeder in Ruhe arbeiten konnte.
Zwölf Jahre
Zwölf Jahre – eine lange Zeit. Ich denke nach, was in den letzten zwölf Jahren … und darüber hinaus … alles passiert ist … Zeit zum Nachdenken
Bis 2003 hatte ich drei Jahre als Brückenbauingenieur gearbeitet und mein erstes Geld verdient. Im Jahr 2003 habe ich mich durchgerungen, Theologie zu studieren – ich habe es nie bereut. In den letzten 12 Jahren war ich mehrere Monate in Afrika im Senegal und für zwei Jahre im Pas-toralpraktikum im Frankenwald – Zeiten, die mich und meinen Glauben geprägt haben. Ich bin fast auf den Tag genau seit zehn Jahren Priester; war zwei Jahre Kaplan in Ebermannstadt und vier Jahre persönlicher Re-ferent des Erzbischofs und habe rund um Scheßlitz in Seelsorge und mit-geholfen und Gottesdienste gefeiert – seit fast vier Jahren bin ich hier in Hochfranken. Es ist viel passiert in den letzten 12 Jahren meines Lebens.
Zwölf Jahre – ein Detail, das zwei Personen des heutigen Evangeliums verbindet, das todkranke Mädchen und die langzeitkranke Frau.
Zwölf Jahre ist sie alt, die Tochter des Jaïrus. Sie steht an der Schwelle des Erwachsenwerdens – voller Hoffnungen und voller Träume. Sie hat mit ihren zwölf Jahren nach den Vorstellungen der damaligen Gesell-schaft das heiratsfähige Alter erreicht. Das Leben liegt eigentlich noch vor ihr: ein Mann, Familie, eigenen Kinder, doch sie ringt mit dem Tod.
Zwölf Jahre lang Krankheit – eine lange Zeit, in der die Hoffnung auf Heilung Tag für Tag ein wenig mehr stirbt. Zwölf lange Jahre von Arzt zu Arzt gerannt. Das ganze Ersparte dafür ausgegeben – in der Hoffnung doch endlich wieder gesund zu werden. Keiner konnte ihr helfen. Alles vergebens, ohne Lebenskraft, völlig ausgeblutet, den Tod vor Augen.
Beide, Jung und Alt, erhoffen sich durch die Berührung Heilung. Das Le-bensschicksal des Mädchens berührt Jesus. Er geht mit dem bittenden Jaïrus zu dessen Haus. Sie müssen sich durch die Menschenmenge hin-durchkämpfen – Berührungen bleiben da nicht aus. Die kranke Frau nutzt die Verborgenheit in diesem Gedränge und greift nach dem Gewand Jesu wie nach einem rettenden Strohhalm, weil sie sich davon Heilung erhofft. Doch nicht ihr zupackendes Wesen rettet sie, sondern die persönliche Be-gegnung mit Jesus, der sich ihr zuwendet und ihren tiefen Glauben erkennt.
Mitten in dieses Heilwerden bricht die Nachricht vom Tod der Tochter des Jaïrus. Was mag Jaïrus wohl gedacht haben, als Jesus sich von der kranken Frau berühren und hat aufhalten lassen? Schließlich ging es doch um Leben und Tod seiner Tochter – die Zeit drängte, jetzt ist es zu spät.
Jesus ist angesichts der Todesnachricht völlig unbeeindruckt und fordert heraus: Er verlangt von Jaïrus angesichts seiner toten Tochter einen Glau-ben, der den Tod überwindet: „Fürchte dich nicht! Glaube nur!“ (Mk 5,36). Ob ich das könnte: Angesichts des Todes an das Leben glauben? „Talíta kum! – Mädchen steh auf! Steh auf zum Leben“ (vgl. Mk 5,41).
Gottesbegegnung macht heil – Gott begegnet mir. Er macht sich auf den Weg zur mir, wie zur Tochter des Jaïrus. Manchmal braucht Gott länger, weil sich eben nicht alles um mich dreht; weil es noch zig andere Men-schen gibt, die auf eine heilsame Begegnung warten. Aber das ist meine Hoffnung, mein Glaube: Er kommt mir entgegen und will, dass ich lebe.
Gottesbegegnung macht heil – nur in den seltensten Fällen geschieht da-bei ein Wunder. Ich kann Gott nicht zum Eingreifen zwingen. Aber ich kann ihm begegnen; ich kann ihm entgegengehen; ich kann ihm mein Leid klagen wie Jaïrus. Die Begegnung mit Jesus berührt. Die Begeg-nung verändert mich. Sie lässt mich durchhalten auch in Jahren des am eigenen Körper erlebten Leids oder des Leids, das ich in meiner Familie oder im Bekanntenkreis erfahre. Ich kann aus der Begegnung mit Jesus gestärkt hervorgehen, neue Lebenskraft erhalten: das ist das Wunder.
Gottesbegegnung macht heil – oft begegnet mir Gott im Mitmenschen, der mir unerkannt zur Seite steht. Es mir tut gut, dass mir einer zuhört, dass eine mit mir geht ins Haus meiner Sorge, dass mich einer unter-stützt – oft ist schon das ein Wunder in unserer Gesellschaft. AMEN.

07/4/21

PREDIGT 12. So. i. JK (B)

Ijob 38,1.8-11 + Mk 4,35-41

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder und Jugendliche!
Ein Blick zurück: Ausgangssperre – erlebte oder gefühlte Quarantäne – verordnete Kontaktbeschränkungen. Da konnte man nicht viel machen; viele nutzten die Zeit zum „Runterkommen“, um einen oder mehrere Gän-ge zurückzuschalten und zur Ruhe zu kommen. Eine derart „verordnete Ruhe“ zwingt dazu, das Alltagsgetriebe zurückzulassen, doch wirklich still ist es nicht. Wenn äußerer Lärm und Trubel sich gelegt haben und die Stil-le beginnt, bricht oft ein innerer Sturm los: Vergessenes, Verdrängtes und Verschüttetes kommt hoch, wühlt mich auf, tobt und tost in mir – unverar-beitete Begegnungen; Worte, die verletzt haben oder die positiv in Erinne-rung sind. Viele Menschen haben Angst vor diesem Gedankensturm, wenn die Vergangenheit in die Gegenwart einbricht und manchmal eine Unter-gangsstimmung heraufbeschwört. Mit allen Mitteln versuchen sie diesen Sturm in ihrem Innern Herr zu werden oder durch Aktionismus zu ver-drängen. Oft wird das Wüten des Sturmes durch dieses „Dagegen-Ankämpfen“ noch stärker oder bringt nach einer trügerischen Ruhe umso heftiger die Gedanken und das Leben durcheinander.
Die Jünger im heutigen Evangelium machen diese Erfahrung: in der Ruhe der Nacht, nachdem alle Leute gegangen und waren und endlich Ruhe war, bricht ein heftiger Sturm los und bringt ihr Leben durcheinander. Hohe Wel-len schlagen ins Boot. Panische Reaktionen: die Jünger haben Angst – wir können uns die dramatischen Bilder vorstellen, die angsterfüllten Schreie der Jünger; das panische Herausschöpfen des ins Boot geschwappten Was-sers; die Resignation, dass alle Mühe doch keinen Sinn hat – der in diesen Tagen viel zitierte „tote Punkt“ – dem Sturm ist nicht Herr zu werden.
Wie paradox ist da die Haltung und das Verhalten Jesu – er schläft tief und fest auf dem vom wütenden Sturm hin- und hergeworfenen Boot – er schläft tief und fest trotz der Wassermassen im Boot – er schläft tief und fest inmit-ten der lärmenden Panik der Jünger. Jesus schläft nicht aus Müdigkeit oder Erschöpfung; er bewahrt innere Ruhe, nicht indem er den aufkommenden Sturm verdrängt, sondern indem er ihn zulässt und sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen lässt. Jesus kann ruhig schlafen, denn er schläft in Gelas-senheit und Gewissheit, dass der Sturm nicht zum Untergang führen wird. Jesus ruht in sich; er ist der Ruhepunkt in all der Panik um ihn herum. In dieser inneren Ruhe liegt seine Kraft, den Sturm zu stillen.
Ob ich diese Haltung Jesu in meinem Leben hinbekäme?
Ich verfalle oft genug blindem Aktionismus und lasse mich leicht aus der Ruhe bringen. Angesichts der Wellen und Wogen, die ins Boot meines Lebens schwappen, es hin und her werfen und es zum Kentern bringen wollen, habe ich oft Angst. Mir fehlt diese Gelassenheit und auch die Gewissheit Jesu. Ich habe Angst, weil die Abgründe meines Lebens un-
endlich tief, das Meer um mich herum stürmend und meine Angst und mein Kleinglaube riesengroß sind. Oft merke ich nicht einmal, dass Jesus auch im Boot meines Lebens da ist und seelenruhig schläft: Er sitzt mit mir in meinem Boot – und er schläft. Ich kann ihn wecken und wie die Jünger anrufen, in einem Hilfeschrei oder in einem anklagenden Gebet: „Kümmert es dich nicht, dass ich zugrunde gehe?“ (vgl. Mk 4,38).
Ich kann meine Sorgen und Ängste Jesus überlassen, weil sie bei ihm in guten Händen sind. So schlagartig wie im Evangelium wird sich der Sturm in mir nicht legen – die Sorgen meines Lebens um Familienange-hörige und Freude, um Arbeitsplatz oder Krankheit werden bleiben, aber ich kann im Vertrauen auf Jesus gelassener werden. Diese Gelassenheit und innere Ruhe kann ich lernen: „Warum hat ihr solche Angst?“ (Mk 4,40), fragt Jesus die Jünger und auch mich: „Warum hast du solche Angst? Ich bin doch bei dir in den Stürmen des Lebens.“ Dieses Gespür für die Anwesenheit Jesu im Boot meines Lebens und das Vertrauen auf ihn, der den Sturm stillen kann, darauf kommt es an; daran soll ich glau-ben und daran mein Leben ausrichten – nicht nur wenn es stürmisch ist, sondern immer. Täglich kann ich diese Gelassenheit und dieses Gottver-trauen einüben, z.B. mit einem Gebet der heiligen Teresa von Avila:

Nichts soll dich ängstigen, nichts dich erschrecken, alles vergeht.
Gott allein bleibt derselbe. Geduld erreicht alles.
Wer Gott besitzt, dem kann nichts fehlen. Gott allein genügt.

06/13/21

PREDIGT 11. So. i. JK (B)

Ez 17,22-24 + Mk 4,26-34

Samenkorn (hochhalten, anschauen…)

… wenn ich dieses, mein Samenkorn so anschaue freue ich mich. Ich sehe es vor meinem inneren Auge schon keimen; ich sehe wie der Halm dem Licht entgegenwächst; ich sehe die Ähre voll mit Körnern und ich denke an das leckere Brot, das aus dem Mehl der Körner gebacken wird.
… jetzt muss ich nur noch einen geeigneten Ort zur Aussaat finden – sucht – der Boden hier in der Kirche ist viel zu hart. Auf diesem steinharten Boden kann mein Samenkorn nicht keimen und Wurzeln schlagen, da kann es nicht wachsen und reifen; aus der Traum vom leckeren Brot.

Standortwechsel – Schale mit trockener Erde (hochhalten, anschauen…)

Ich besitze ein großes Stück Land: alles fruchtbarer Ackerboden und gute Gartenerde. Was darauf alles wachsen könnte … Gurken, Tomaten und Paprika; Zwiebeln und Kartoffeln; Weizen, Gerste und Mais…
… jetzt brauche ich nur noch Samenkörner, dann wird mein Feld bald grünen, blühen und reifen; dann kann ich bald Feldfrüchte und leckere Gemüsesorten ernten – sucht, fragt – haben sie Samenkörner dabei? Nein?

Standortwechsel – Krug mit Wasser (hochhalten, anschauen…)

Wasser – Wasser ist Leben, Leben für Menschen, Tiere und Pflanzen. Was mit diesem Wasser alles leben und wachsen könnte… jetzt muss ich nur noch etwas finden, das ich begießen und pflegen kann – sucht – in den steinharten Kirchenboden sickert mein Wasser nicht ein; vom Leben abgeschnittene Blumen; sie wachsen durch mein Wasser nicht weiter.


muss er abwarten, bis die Zeit und das Korn reif sind. Es braucht Geduld, Gelassenheit und Gottvertrauen, dass aus dem klitzekleinen Samenkorn, eine große, fruchtbare Pflanze wachsen kann.
Ähnlich ist es sich mit dem Reich Gottes in unseren Pfarrgemeinden und im Seelsorgebereich Hofer Land. Wir brauchen Geduld und Achtsamkeit, damit aus den ausgestreuten Samenkörnern Neues wachsen kann; damit aus den zarten Pflänzchen Bäume werden. Wir erleben oft nur Gezerre: Wir, die Stadt, brauchen mehr – wir sind das Zentrum! Ja, wenn die das haben, dann wir auch! Abgeben, wo kämen wir denn da hin? Wir nicht! Sollen doch die anderen! Dass bei diesem Hin- und Her-Gezerre viel kaputt gehen, ja ganze Pflanzen abreisen können, sehen viele erst, wenn es zu spät ist. Das heutige Evangelium mahnt uns daher zu Achtsamkeit und Sorge, damit optimale Wachstumsbedingungen möglich sind und bleiben – das ist Seelsorge. Eine Sorge, die nicht nur uns Hauptamtlichen anvertraut ist, sondern eine Sorge, die uns alle angeht, damit aus den Samenkörnern in unseren Pfarreien wirklich etwas nachwächst: Glaubensnachwuchs. Das bedingt die Aussaat und die Feldarbeit auf der Fläche des gesamten Seelsorgebereichs, nicht nur auf dem eigenen Pfarracker. Da darf kein Neid aufkommen, wenn andernorts etwas besser wächst, sondern Freude, dass es wächst – daran müssen wir arbeiten und deshalb müssen wir zusammenarbeiten: Same, Erde, Wasser müssen wir zusammenbringen, auch von verschiedenen Orten unseres Seelsorgebereichs. Nur wenn wir als Sämänner und Gärtnerinnen dafür sorgen, kann durch uns Neues aufgehen; nur so können wir als Seelsorgebereich weiter zusammenwachsen und zusammen wachsen; und nur so besteht die Möglichkeit auf eine Ernte. Wenn wir so handeln, dann sind wir nicht „an einem toten Punkt“ – auch wenn weniger wächst als in anderen Jahrzehnten, auch wenn manches vielleicht auch gar nicht aufgeht oder verdorrt. Mit Gottvertrauen wird das Reich Gottes bei uns wachsen – es fängt ganz klein an. Das Wachstum liegt nicht in unserer Hand, wohl aber die Samenkörner, die zu bearbeitende Erde und das Gießwasser.

Samen in die Erde stecken und mit Wasser begießen

AMEN.

04/5/21

PREDIGT Osternacht

Gen 1,1-2,2a + Gen 22,1-18 + Ex 14,15-15,1
Röm 6,3-11 + Mk 16,1-7

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder, liebe Jugendliche!
Am Karfreitag und Karsamstag war ein ungewöhnlicher Gegenstand im Heiligen Grab von Schwarzenbach und Oberkotzau zu sehen: ein schwar-zes grobmaschiges Netz: Christ lag in Todesbanden – oder wie der Beter des Psalms sagt: „Mich umfingen die Fesseln des Todes“ (Ps 116,3).
Heute an Ostern hält das Netz Christus nicht mehr gefangen – der schwarze Tod kann ihn nicht im Grab nicht festhalten.
Auch auf der Osterkerze ist ein Netz zu sehen – ein schwarzes Netz mit einem Loch, durch das ein bunter Schmetterling in die Freiheit fliegt; „das Netz ist zerrissen und wir sind frei“ (Ps 124,7), so sagt es der Psalmist.
Ein Schmetterling auf einer Osterkerze – ist das nicht zu platt und zu naiv? Wir sehnen uns alle nach dem Sommer, nach Urlaub und nach der Freiheit, die so ein Schmetterling hat – er fliegt mit Leichtigkeit wohin er will; Ab-stände und Beschränkungen stören ihn nicht; er überwindet alle Barrieren. Der Schmetterling ist somit ein Symbol der Hoffnung auf Freiheit.
Aber das war nicht immer so: „Das ist das Ende“, dachte die Raupe, als sie sich verpuppte und zum Sterben bereit war. „Das ist erst der Anfang“, sagt der Schmetterling, der aus dem Kokon wie aus einem Grab entschlüpft. Der Schmetterling ist daher ein altes und vergessenes Auferstehungssymbol.
Auch die Schrifttexte erzählen von diesem Durchbruch zum Leben:
Neues Leben nach dem chaotischen Verhältnissen, dem Tohuwabohu – dafür steht die Schöpfungserzählung. Gott schafft Raum zum Leben – Lebensraum; er erschafft Leben und Lebendigkeit und nicht den Tod.
Gott will kein Menschenopfer. Er will das Leben des Isaak – nicht gefes-selt, sondern frei; und er will, dass jeder Mensch leben kann und darf.
Gott rettet sein Volk auf wunderbare Weise – durch das Wasser zieht es in die Freiheit. Das Wasser steht auch für die Taufe und damit für unser Christsein: Wir sind zur Freiheit berufen, Volk Gottes und Kinder Got-tes, hineingetauft in das Leben, Sterben und Auferstehen Jesu Christi.
Heute an Ostern ist die Kirche festlich mit Blumen geschmückt: ein Garten, ein Lebensraum, ein Paradies. Dort ist das Leben; dort ersteht auch Christus zum Leben und schenkt uns die Hoffnung auf dieses blühende Leben.
Dieses neue Leben klingt ganz zart auf dem MISEREOR-Hungertuch an: Ein Schmetterling ist zwar nicht zu sehen, aber der Weg für den gebrochenen Fuß ist gesäumt goldenen Blumen – Zeichen des Lebens und Farbe des Göttlichen, des neuen Lebens, das Gott schenkt: Du, Gott, stellt meine Füße auf weiten Raum (Ps 31,9) – der Titel des Fastentuches ist Programm für un-ser Leben als österlicher Mensch. Wir sind zwar umgeben von Krankheit und Tod, leben aber in der Hoffnung auf Leben durch Jesus Christus. Er lebt! Er ist auferstanden! Halleluja! Er befreit auch uns zum Leben und löst unsere Fesseln. Wir dürfen durch, mit und in Jesus Christus leben. AMEN.

04/3/21

PREDIGT Karfreitag

Jes 52,13-53,12 + Hebr 4,14-16; 5,7-9 + Joh 18,1-19,42

Liebe Schwestern und Brüder! Liebe Kinder und Jugendliche!
Was ist Wahrheit? Ich war nicht ganz ehrlich zu Ihnen. Ich habe bisher nicht alles gesagt, was ich hätte sagen können. Hier nun die ganze Wahrheit zum Motiv des MISEREOR-Hungertuches, das einen mehrfach gebrochenen Fuß zeigt: „Der Fuß gehört zu einem Menschen, der bei einer Demonstration in Santiago de Chile durch die Polizei schwer verwundet worden ist. Seit Oktober 2019 protestieren dort auf dem ‚Platz der Würde‘ viel Menschen gegen ungerechte Verhältnisse. Tausende Demonstranten wurden durch die Staatsgewalt brutal geschlagen und verhaftet. Dieser Fuß mit den sichtbaren Verletzungen steht stellvertretend für alle Orte, an denen Menschen gebrochen und zertreten [und damit ihrer Würde beraubt] werden.“ (Info zum MISEREOR-Hungertuch). Diese erschütternde Realität verbirgt sich hinter dem mehrfach gebrochenen Fuß auf dem Hungertuch – die Wahrheit ist enthüllt; sie kann und darf nicht verschwiegen werden.
Was ist Wahrheit? Die Wahrheit muss ans Licht, auch in der Kirche – gerade heute! Es gibt diese erschütternde Realität des Wegsehens und der Vertuschung, um Gewalt und Missbrauch zu verbergen, und Mauern der Angst, die Opfer oft jahrelang sprachlos machen. Die Wahrheit muss ans Licht, Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen und transparente Strukturen geschaffen werden, die eben derartige Vorfälle verhindern. Und es braucht jegliche Unterstützung für die von Gewalt und Missbrauch verletzten, gebrochenen und zerbrochenen Menschen.
Was ist Wahrheit? – um diese Frage dreht sich die Passion, die Leidensgeschichte Jesu im Evangelium nach Johannes: Was ist Wahrheit? In drei Verhören durch die politischen und religiösen Autoritäten der Stadt Jerusalem und der Provinz Judäa soll die wahre Identität Jesu und seiner Lehre geklärt werden. Sag die Wahrheit: „Bist du der König der Juden?“ (Joh 18,33), fragt ihn Pilatus. Jesus hat nichts zu verbergen, wenn er wahrheitsgemäß sagt: „Mein Königtum ist nicht von dieser Welt. […] Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege“ (Joh 18,36-37). Jesus bleibt auch vor Gericht bei der Wahrheit, auch wenn sie jetzt für ihn den sicheren Tod bedeutet. Er sagt: „Ich habe offen vor aller Welt gesprochen. Ich habe immer in der Synagoge und im Tempel gelehrt, wo alle Juden zusammenkommen. Nichts habe ich im Geheimen gesprochen“ (Joh 18,20). Das ist Wahrheit, dass sie wirklich hält, was sie verspricht; dass sie wahr ist und Bestand hat; dass sie sich nicht verstecken braucht oder etwas fürchten muss. Jesus lebt diese Wahrheit und kann so das schmerzhafte Leiden und die Verlassenheit am Kreuz aushalten, ohne sich zu verstellen.
Was ist Wahrheit? Diese Frage stellt sich auch für Petrus. Dreimal wird er nach seiner Identität gefragt: „Bist du nicht auch einer von den Jüngern
dieses Menschen?“ (Joh 18,17). Dreimal verstellt sich Petrus, weicht den bohrenden Fragen aus und drückt sich um die Wahrheit herum. Dreimal leugnet Petrus, Jünger in der Nachfolge Jesu zu sein, um seine eigene Haut zu retten. Seine Tränen beim Hahnenschrei enthüllen die Wahrheit.
Was ist Wahrheit? Diese Frage erhält am Karfreitag eine Antwort nicht nur im Hinsehen auf das MISEREOR-Hungertuch mit dem mehrfach gebrochenen Fuß, sondern vor allem im Hinschauen auf das Kreuz, auf das Jesus mit Brutalität festgenagelt wird: durchbohrte Hände und Füße, ein von der Lanze durchstoßenes Herz. Die Wunden seiner Geißelung, seiner Dornenkrönung und seiner Kreuzigung klagen an und klagen Gerechtigkeit ein, fordern ein Ende von Machtmissbrauch und Gewalt. Die Wahrheit soll und muss ans Licht kommen.
Was ist Wahrheit? Die Frage des Karfreitages bringt es ans Licht, wenn man sie konkretisiert: Wer ist Wahrheit? Bei der Kreuzverehrung wird ein Kreuz wird in die Kirche getragen – verhüllt mit einem Tuch. Keine Verschleierung, kein Verstecken, sondern Enthüllung der absoluten Wahrheit: In drei Stufen wird das Kreuz enthüllt. Immer mehr wird vom Gekreuzigten sichtbar, der von sich gesagt hat: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6). Jesus ist die menschgewordene Wahrheit und reale Wirklichkeit Gottes (vgl. Joh 1,14.17). Dreimal wird das Kreuz höher gehoben. Immer deutlicher wird sichtbar, wer Jesus, der Christus, in Wahrheit ist: Er, der Gekreuzigte, ist wahrer Gott und wahrer Mensch.
Bei der Kreuzverehrung bekennen wir diese gekreuzigte, gottmenschliche Wahrheit. Wir beugen unsere Knie vor IHM, der für uns sündige Menschen zur reinigenden Wahrheit und Heil bringenden Wirklichkeit Gottes geworden ist. Er macht sich für uns verletzlich, nimmt unsere Schuld auf sich. Zu IHM, Jesus Christus, können wir kommen – trotz un-serer Schuld – er kennt uns durch und durch. Vor IHM müssen wir nichts vertuschen oder verbergen. Wir dürfen unser wahres Gesicht zeigen und so echte Begegnung mit IHM und untereinander erfahren – von Angesicht zu Angesicht. Und wir sollen diese Begegnung auch leben – nicht nur unter dem Kreuz, sondern im Alltag: Jesus verbindet seine Mutter Maria und den Jünger Johannes neu: einander sollen sie Sohn und Mutter sein, füreinander sorgen, einander trösten, stützen und unterstützen. Hingabe, Fürsorge und Passion – darauf kommt es in Wahrheit an gerade in diesen schweren Zeiten: Passion – abgeleitet vom Verb patein – bedeutet ja nicht nur leiden, sondern auch leben und lieben. Wenn wir wie Jesus das Leben miteinander teilen und einander in Liebe begegnen und füreinander sorgen, dann zeigen wir „Gesicht“, dann strahlt Jesus Christus durch unser Reden und Tun hindurch. Ein Wagnis, da dieser Weg Jesu der Wahrheit und Wahrhaftigkeit (auch für uns) Verwundungen und Verletzung nicht ausschließt. Das müssen wir einkalkulieren und aushalten. Die Wahrheit aushalten und damit leben – auch im Tod. Die Wahrheit aushalten – und damit leben auch im Tod. AMEN.

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