PREDIGT 24. So. i. JK (A)

Sir 27,30-28,7 + Mt 18,21-35

Liebe Schwestern und Brüder!
Eine radikale Botschaft: die Pflicht zur Vergebung. Viele Fragen schie-ßen mir durch den Kopf: Bin ich verpflichtet immer zu vergeben? Kann ich das überhaupt? Bin ich da nicht schnell der Dumme, ein Schwäch-ling, wenn ich immer und immer wieder nachgebe und verzeihe? Wann wäre bei mir das Maß voll? Wo würde ich Grenzen ziehen – Versöh-nungsbereitschaft muss doch Grenzen haben.
Petrus zieht diese Grenze in meinen Augen sehr großzügig: Herr, wie oft muss ich meinem Bruder/meiner Schwester vergeben, wenn er/sie sich ge-gen mich versündigt? Siebenmal? Siebenmal, dem Mitmenschen vergeben, der mir geschadet und Böses zugefügt hat, der mich mit seinem Verhalten terrorisiert – siebenmal vergeben, dann reicht’s aber – siebenmal, dass ist schwer genug, da muss das Himmelreich doch kommen. Petrus wollte mit seiner Antwort glänzen, vor Jesus und den anderen Jüngern gut dastehen – er wollte Vorbild in Sachen Vergebung, wenn man menschliche Maßstäbe anlegt. Doch Jesus misst mit einem anderen Maß: nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal! Das meint: damit der Himmel schon hier auf Erden anbricht, musst du immer bereit sein, zu vergeben: unendlich oft.
Das ist einfacher gesagt als getan: wie leicht geht es mir über die Lip-pen, wenn ich etwas falsch gemacht habe: „Der oder die muss mir doch vergeben.“ Wenn ich aber selbst in der Rolle dessen bin, der vergeben soll, kommen Worte der Vergebung und Versöhnung nur schwer über meine Lippen – oft packe ich noch eins drauf, heize den Streit oder die Auseinandersetzung mit spitzen und verletzenden Bemerkungen an: Kleinkrieg mit Worten und Blicken, die töten könnten.
Im heutigen Evangelium finde ich mich in der Rolle des Dieners. Er er-fährt vom König gerne Vergebung und Erlass seiner großen Schulden. Aber selbst tut er sich mit dem Vergeben und Schuldenerlass schwer. Der König – ich ahne, dass Gott damit gemeint ist – erlässt dem Diener zehntausend Talente – umgerechnet wären das heute etwa 20 Millionen Euro, eine Summe, die er wohl kaum zurückzahlen könnte. Wie gering sind dagegen die 100 Denare, die ein anderer Diener ihm schuldet, und die er seinem Mitmenschen nicht erlässt. Unsummen und Kleingeld. Auch ich messe häufig mit zweierlei Maß: Großzügigkeit für mich, für meine Schulden und für mein Verschulden – Engstirnigkeit gegenüber anderen und ihr Verschulden. Wie schnell sitze ich in der Schuldenfalle – einer Falle bei der es nicht ums Finanzielle geht, sondern um den Um-gang mit Schuld und um das rechte Maß der Vergebung.
Wir Menschen werden schuldig, wir sind Sünder – sie, sie, sie, du und auch ich. Und Schuld kann viele Gesichter haben, von kleinsten Unter-lassungen bis hin zu unvorstellbar grausamen Taten. Schuldig werden wir durch das, was ich mir zu Schulden kommen lasse und was wir ei-nander schuldig bleiben: Aufmerksamkeit und Respekt, Wahrheit und
nötiger Hilfe, Versöhnungsbereitschaft und Vergebung. Schuldig werde ich, wenn ich mit zweierlei Maß messe.
Damit mein Leben gelingt, muss ich mich auf ein Maß festlegen. Ich muss mich an diesem Maß messen lassen, auch wenn ich durch ein an-deres Verhalten Vorteile hätte – alles andere wäre vermessen und maß-los. Gott ist das Maß meines Lebens. Er ist König, der das Maß festlegt: Barmherzigkeit, Erbarmen, Geduld. Diesem Maß soll ich mich ver-pflichtet fühlen im verantwortungsvollen Umgang mit anderen: Es geht nicht um drohende Zeigefinger oder geballte Fäuste. Es geht nicht ums Richten und Verurteilen. Sondern es geht darum, den Mitmenschen die Hände zu reichen, sie aufzurichten, ihnen zu verzeihen. Vergib uns un-sere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern – beten wir im Vater unser. Wenn dies das Maß unseres Zusammenlebens ist, wenn beide Seiten das wollen und leben, dann leben wir maßvoll. Dann be-steht auch die Chance eines Neuanfangs: miteinander statt gegeneinan-der. Dann können wir die Vergangenheit getrost ruhen lassen, können versuchen, sie versöhnlich abzuschließen, statt miteinander abzurech-nen. Wir können auch wilde Zukunftsspekulationen sein lassen, die mehr Verwirrung stiften, Ängste schüren und vieles in eine falsche Richtung lenken. Wir können jetzt, gemeinsam und miteinander, die Gegenwart in Kirche und Welt gestalten: hier und jetzt. AMEN.

 

Liedimpulse:
– wie ein Fest nach langer Trauer: https://www.youtube.com/watch?v=f8MJ4spXs3w
– Sorry seems to be the hardest word: https://www.youtube.com/watch?v=5w142CaROC0