Jes 35,4-7a + Mk 7,31-37
Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder und Jugendliche!
Die drei berühmten Affen: Nichts hören oder (unangenehme Dinge und die unbequeme Wahrheit) nicht hören wollen – nichts sehen oder (ungerechte Strukturen und schreckliche Situationen) nicht sehen wollen – nichts sagen oder (über den Missbrauch von Finanzen und Menschen) nicht sprechen wollen. Die Affen sind Sinnbild der Verschlossenheit und Vertuschung, des Nichtwahrhabenwollen des Schlechten,1 des Nichtäußerns und Nichthandelns. „Effata! Öffne dich!“ (Mk 7,34) möchte ich jeden von ihnen wie Jesus dem Mann im Evangelium zurufen! „Öffne dich für das Leben mit allen Sinnen!“ Die Affen könnten anders handeln, wenn sie wollten: sie könnten bewusst hinhören und nicht nur ihre vorgefertigte Meinung gelten lassen – sie könnten bewusst hinsehen und Missstände in den Blick nehmen – und sie könnten mit deutlicher Stimme Gesehenes und Gehörtes zur Sprache bringen und andere darauf hinweisen – sie können, wenn sie nur wollten…
… der Mann im Evangelium kann das nicht. Er kann nicht aus eigenem Wollen heraus seine „Gehörlosigkeit“ und sein „Stammeln“ (vgl. Mk 7,32) überwinden. In der alten Einheitsübersetzung war noch von einem „Taubstummen“ (EÜ 1980) die Rede; ihm wurde jedes Sprechen abgesprochen. Die neue Einheitsübersetzung gibt den Text und die Situation Gott sei Dank besser wieder: Der Gehörlose war nicht stumm; er wollte reden und mitreden; er wollte sich äußern und so am Leben teilhaben – er wollte, konnte aber nicht so, wie er wollte: Seine Worte und Äußerungen waren nicht für alle verständlich: ein Stammeln und Stottern war die Folge.
Dieser Mann wurde zu Jesus gebracht mit der Bitte, er möge ihm die Hän-de auflegen. Was der Mann und die anderen von Jesus wollen und erhoffen? Einen Segen – und damit die Annahme als „Kind Gottes“. Diese Annahme ist bedingungslos und damit auch unabhängig von Beeinträchti-gung, Behinderung oder Handicap. Jeder Mensch ist wertvoll, so wie er ist.
Wer ist dieser Mann im Evangelium? Wahrscheinlich war er kein Jude. Er lebte im Gebiet der Dekapolis, dem Gebiet von zehn hellenistisch geprägten Städten. Zudem wird das heutige Evangelium unmittelbar nach der Episode von „Jesus mit der syrophönizischen Frau“ erzählt. Diese Frau erkennt als Fremde und Heidin die Vollmacht Jesu zu heilen – und Jesus erkennt in diesem Gespräch, dass er nicht nur zu den Juden, sondern auch zu den Heiden gesandt ist (vgl. Mk 7,24-30). Wenn also Jesus, einen, der einer anderen Religion angehört, segnet, zeigt das, dass die Liebe und das Heil, das Gott schenken will, allen Menschen gilt und keine menschengemachten Grenzen kennt. Dieser Aspekt erklärt auch, warum Papst Franziskus nach Asien reist und dort auch Menschen verschiedener Kulturen und Religionen trifft.
Was macht Jesus? ER ist offen für die Not des Mannes – ER lässt sich berühren vom Schicksal des Mannes und berührt ihn, ja ER legt seine Finger in die Wunden und unheilen Körperstellen: ER legt die Finger in dessen Ohren und berührt dessen Zunge mit Speichel. Diese Berührungen gehen – so befremdlich und vielleicht auch ekelig sie uns heute erscheinen mögen – unter die Haut. Zurzeit Jesu waren es bekannte, magische Heilungsrituale – aber sie bewirken nichts. Erst durch das Wort „Effata! Öffne dich!“ (Mk 7,34) geschieht das Wunder, dass der Mann hören und klar und deutlich sprechen kann. Für die biblisch gebildeten Menschen damals war dies ein sprechendes Zeichen: die Worte des Propheten Jesaja (vgl. Jes 35,4-7a) von einer besseren Zukunft sind keine Vertröstung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag, das Ende der Zeit oder auf das Jenseits – Nein, die „Zeitenwende“ be-ginnt jetzt! Die Heilszeit bricht mit Jesus und seinem Wirken an! Gott ist da! Er ist offen für die Not der Menschen. Er wird aus aller Not befreien. Er schenkt Kraft und Mut, dass die Menschen guten Willens sich mit allen Sinnen an einer besseren Gestaltung der Welt beteiligen werden.
Und wir? Wir sind keine „Affen“, sondern durch die Taufe Kinder Gottes. „Effata! Öffne dich!“ (Mk 7,34) Diese Aufforderung Jesu wurde uns in der Taufe zugesprochen: „Effata! Öffne dich“ (Mk 7,34), damit du das Wort Gottes hörst (und danach handelst) und damit den Glauben bekennst zum Lobe Gottes und zum Heil der Menschen. Mit allen Sinnen, mit offenen Augen und hellhörigen Ohren soll ich die Welt wahrnehmen und sie mit Gottes Hilfe durch mein Wort und Tun zum Guten hin gestalten. AMEN.
1 In Japan ist diese „westliche“ Deutung „das Schlechte nicht wahrhaben wollen“ nicht vorhanden – dort werden die drei Affen als „über das Schlechte hinwegsehen“ und den Blick, das Hören und Reden (und eigentlich auch das Tun)“ auf das Gute hin ausrichten gedeutet.